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Im Gespräch mit Stephan Hein, Lulu Guldsmeden Berlin

Online-Marketing 9 Minuten
Es ist für das Hotelmarketing ausschlaggebend, mehr und vor allem die richtigen Daten zu erfassen, um effizientes Vertriebsmarketing oder Promotions starten zu können.
Stephan Hein ist seit Sommer 2019 General Manager des Lulu Guldsmeden Berlin und verantwortet dort 81 Zimmer und 13 Mitarbeiter. Seine bisher relevantesten beruflichen Erfahrungen sammelte Hein bei den Rocco Forte Hotels, bei The Grove in Hertfordshire/London, bei der Design Hotels AG und bei Eco Hotels.

Das Lulu Guldsmeden im Berliner Stadtteil Tiergarten / Mitte  ist die einzige deutsche Niederlassung der dänischen Boutique-Hotelkette Guldsmeden Hotels, die neben einem einzigartigen visuellen Konzept seit Jahren bereits das Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz konkret umsetzt. Mehr darüber in der Rubrik “Innovative Konzepte”.
Welchen Stellenwert hat digitales Marketing im Lulu Guldsmeden?

Die Relevanz von digitalem Marketing wächst stetig - bisher stand dies nicht im Kernfokus der Guldsmeden Hotels. Wir haben einen sehr verspielten, sehr grafisch visuellen Zugang zum Marketing (Anmerkung: Dazu reicht ein Blick auf die Internetseite). Wir müssen zuallererst die Grundvoraussetzungen für digitales Vertriebsmarketing schaffen, nämlich auf unserer Webseite für eine klare Ausrichtung sorgen. Auf der ursprünglichen Internetseite verstanden viele Nutzer nicht, dass es sich hier um ein Hotel handelt. Die aktuelle, überarbeitete Version hat Luft nach oben, vor allem in der Usability. Aber uns gelingt die Ansprache der Zielgruppen eindeutig besser: wir starten mit Fotos von einer Familie mit Familienbikes, es folgen unsere familienfreundlichen Loftzimmer...
Sind Familien somit die Hauptzielgruppe?

Genau, Familien sind für uns massivst wichtig. Um Ihnen eine Idee davon zu geben: vor der Pandemie hatten wir in Schulferien-Monaten bis zu 1.000 Kinder im Haus. Selbst in letzter Zeit, mit 50% Belegung, waren es bis zu 560 Kinder monatlich. Deshalb ganz klar die Positionierung über das Fotomaterial: keine klassischen Superior-Zimmer als Start, sondern eben jene, die den Kern und Atmosphäre des Hotels zeigen. 

Welchen Chancen und Risiken sehen Sie im digitalen Vertriebsmarketing?

Die Chancen liegen klar auf der Hand: man wird besser, man wird schneller und man kann umgehender reagieren. Derzeit arbeiten wir mit Google-Ads, mit Keyword-Advertising (Suchmaschinenmarketing Hotels): wir sind jedoch mit Google Hotel Ads in einer Zeit gestartet, in der richtig gute Zahlen zu erzielen schwierig war. Die Zeit war dennoch gut genutzt, wir konnten Learnings daraus ziehen und wissen nun, nach welchen Begriffen gesucht wird.

Zum Thema Risiko finde ich gilt festzuhalten, dass man als Hotelier Gefahr läuft, sich zu sehr auf die digitale, sehr schnelllebige Welt konzentriert anstatt sich mit dem Gast zu beschäftigen, der gerade vor einem steht. Man muss jedoch dranbleiben an der Digitalisierung, wir hier in Berlin sind zwar Teil der dänischen Kette, aber bereits auf Grund der Sprache abgekoppelt vom Headoffice. Damit können wir relativ autonom handeln. Wir stellen uns soeben im Social-Media-Bereich personell besser auf und möchten uns vermehrt um die digitale Kommunikation kümmern. Die bereits angesprochene Webseite wurde detailliert analysiert, anhand von Gästebefragungen wissen wir beispielsweise, wo es hakt und was hingegen gut funktioniert. 
Sehen viele Hotels vielleicht ein Risiko darin, Geld für Maßnahmen in die Hand zu nehmen, weil bei SEA oder Social-Media-Ads im Gegensatz zu OTAs die Messbarkeit fehlt?

Absolut, das ist ein klarer Vorteil der OTAs: dank eines super effizienten BI-Tools (Software für Business Intelligence zur Analyse und Aufbereitung interner und externer System) hat man als Hotelier laufend ein perfektes Reporting samt Darstellung. Jede Booking-Engine (wie auch unsere eigene, wie bei vielen Ketten intern programmierte) hat im Vergleich zu beispielsweise booking.com einen schweren Stand: ein fixer Bestandteil des Umsatzes wird dort in die stete Optimierung des Tools selbst investiert, um einfacheres und schnelleres Buchen zu ermöglichen. 
Wie sieht Ihr Digital-Marketing-Mix im Moment aus? Google Ads haben Sie bereits erwähnt, welche anderen Plattformen bespielen und bewerben Sie aktiv?

Genau, neben Google Hotel Ads bespielen wir Facebook, Instagram und LinkedIn mit Social-Media-Ads im Rahmen von Hotel Marketing Social Media. Soeben (Anmerk.: Das Interview entstand im September 2021) wägen wir ab, mit TikTok zu starten. Reels sind ein großes Thema für uns, gerade für unsere Hauptzielgruppe Familien, die Kinder im Teenager-Alter haben. Wir kooperieren vereinzelt mit ausgewählten Youtubern oder Influencern.
Spielt Newsletter-Marketing eine Rolle im Marketing-Mix?

Ich muss zugeben, damit arbeiten wir derzeit sehr limitiert aus dem einfachen Grund, dass wir keine akkurat gepflegte Database haben. Und ohne gute Kontaktdaten ist effizientes E-Mail-Marketing mit Fokus auf Hotel Newsletter kaum möglich. Ein wirklich gut laufendes CRM-Tool, das würde ich mir wünschen…. vor allem um Messbarkeit der Direktbuchungen von Marketingaktivitäten nachvollziehen zu können. Das ist derzeit einfach extrem arbeits- und zeitaufwändig.
Mein Auftrag und ständiger Aufruf an mein Rezeptionspersonal: Kuriert fleißig die Database! 
Daten sind das Gold des digitalen Zeitalters. Sehen Sie Marketing-Potential in der Nutzung von Gäste- und Reservierungsdaten sowie gesammelten Gästeinformationen und deren Affinitäten?

Diese Thematik ist super relevant, Segmentierung der Daten, Filterung von Daten… In diesem Bereich arbeiten wir bereits seit zwei Jahren mit zielgruppenorientierten Pop-Ups, basierend auf IP-Adressen, unterschiedliche Ferienzeiten in unterschiedlichen Ländern und Regionen und basierend auf historischen Buchungen. Hierzu haben wir unsere Kernmärkte analysiert: In der Schweiz starten die Herbstferien beispielsweise eine Woche vor unseren hier in Deutschland. Diese User erhalten folglich statt eines Hallo einen spezifischen “Gruezi-PopUp”. Bei hochpreisigen Suitenbuchungen folgen Dankeschön-PopUps mit kleinen Goodies, dies nur zwei Beispiele.

Ich bin ein absoluter Verfechter von zielgruppenspezifischer Werbung: Klammer auf, manchmal frag ich mich, warum das bei YouTube nicht wirklich funktioniert - die Plattform weiß eigentlich alles über mich als Person, plagt mich aber Damenrasierer-Werbung. Es ist für das Hotelmarketing ausschlaggebend, mehr und vor allem die richtigen Daten zu erfassen um effizientes Vertriebsmarketing oder Promotions starten zu können. Ein Gast, der bereits in Kopenhagen in einem Guldsmeden war, den muss ich gezielt ansprechen, ebenso hier in Berlin zu übernachten. Daher mein Auftrag und ständiger Aufruf an mein Rezeptionspersonal: Kuriert fleißig die Database! Notiert euch ob es ein Leisure-Gast ist , woher er kommt, was er mag oder was er eben nicht mag.
Ich glaube, gerade die Stadthotellerie hat hier definitiv aufholbedarf und gerade in Zeiten wie diesen kommt das an die Oberfläche…

Wir hatten vor Corona bereits 60% Leisure-Geschäft. Alle Stadthotels, die bisher auf Geschäftsreisende fokussiert waren, wollen plötzlich ebenso darauf setzen. Aber eine Umstellung von heute auf morgen ist nicht so einfach. Ich vergleiche das gerne mit dem Navigieren eines großen Schiffs, ein Richtungswechsel funktioniert nicht ruckzuck. Ich habe ehrlich Respekt vor den Häusern mit 500 Hotelzimmern und vielen Veranstaltungsräumlichkeiten, da wird der Aufschwung dauern. 
Wir haben eine überschaubare Größe und die USPs, nach denen die Menschen gerade suchen: persönlicher Kontakt, ansprechendes Design mit unterschiedlichen Materialien und Nachhaltigkeit.
Sie sehen somit Hotels wie Lulu Guldsmeden klar im Vorteil, an welchen USPs liegt das?

Wir haben einerseits eine überschaubare Größe und die USPs, nach denen die Menschen gerade suchen: persönlicher Kontakt, ansprechendes Design mit unterschiedlichen Materialien und Nachhaltigkeit. Wir sind als Gruppe zum Thema Umweltschutz stark positioniert, aber wir benutzen das Wort nicht nur aus marketingtechnischer Sicht, sondern wir leben Nachhaltigkeit. Seit 1995 bezieht Guldsmeden Hotels ausschließlich Bio-Produkte. Aber das Thema Nachhaltigkeit zieht sich von A bis Z durch: bei den Pflegeprodukten, die eigene vegane Kosmetiklinie mit recycelbarer Verpackung, Matratzen aus Bio-Kautschuk, Handtücher aus fairtrade-Baumwolle. Das Thema hat einfach ein große Relevanz und uns vor allem letzthin gut in die Hände gespielt, sogar im Veranstaltungsbereich mit circa 5- 20 Personen kommt das mittlerweile zum tragen.

Wie hoch ist dennoch die Abhängigkeit von OTAs wie z.B. booking.com, expedia.com etc. im Vertrieb?

OTAs sind ein wichtiger Teil des Vertriebs, wenn auch nicht so relevant wie vor einigen Jahren. Das Lulu Guldsmeden hat in unserer Kette sogar eine Monopolstellung, weil es da einzige der 11 Hotels ist, das über traditionelle OTAs vertrieben wird. Alle anderen sind komplett offen und weder auf den eingangs genannten booking.com noch auf expedia.com. Das spannende dabei: alle Hotels pacen besser ohne OTAs als vorher mit. Der gesamte Vertrieb läuft über ecohotels.com und eben den Eigenvertrieb. Aber jedes Land funktioniert nunmal anders, wir beobachten bei den OTAs massivste Unterschiede im Auftreten in den unterschiedlichen Ländern, oder bei Unterprodukten, die mancherorts erfolgreicher sind vielleicht aufgrund von Faktoren wie Farbgebung oder anderen visuellen Elementen. 
Ich sehe booking.com eher als Reklametafel, als Partner um auf uns aufmerksam zu machen. 
Können Sie uns konkret einen Prozentsatz nennen?

Seit ich hier begonnen habe, konnten wir unsere Abhängigkeit von booking.com um 27% reduzieren und liegen nun bei einem Anteil von 40%. Wir haben vor allem im direkten Eigenvertrieb dazu gewonnen, über E-Mail, Telefon, an der Rezeption und der eigenen Webseite. Ziel soll es nicht sein, komplett auf OTAs zu verzichten. Ich sehe booking.com eher als Reklametafel, als Partner um auf uns aufmerksam zu machen. Bereits jetzt sehen sich ca. 70% der booking.com Nutzer die hoteleigene Internetseite an, genau da möchte ich ansetzen und von 40% auf einen Anteil von 30% kommen. Die eingesparten Kosten investieren wir dann direkt in unsere Website, es gilt die potentiellen Gäste dort abzugreifen und sie dort vom eigenen Produkt zu überzeugen. Reisende können heute in Hotels schlafen, so wie sich ankleiden und wie und mit wem sie socializen möchten - das ist heute wichtiger denn je geworden. Das funktioniert auf OTAs nicht. 
Für ein Hotel in Berlin in der Größenordnung mit 80 Zimmer ist der booking.com-Anteil tatsächlich erstaunlich niedrig… Woran liegt dies Ihrer Meinung nach?

Tatsächlich waren wir in den Startmonaten bei 75% mit Peaks sogar bei 87% Anteil, es gab damals aber keinen aktiven Vertrieb. Ein ausschlaggebender Faktor ist sicherlich unsere Lage, die Gegend hier hat sich stark weiterentwickelt, innerhalb von zwei Jahren gibt es 3 Michelin-Stern-dekorierte-Restaurants, angesagte Bars und Galerien. Ein anderer Faktor ist sicher der damals höhere Anteil an deutschen Gästen mit 45%. Im diesjährigen Juli hatten wir beispielsweise mehr Dänen als Deutsche im Haus, einfach weil der Bekanntheitsgrad dort extrem hoch ist. 
Es gilt, die wirklich relevanten Daten zu nutzen.
Abschließend noch einmal die Thematik Daten, also Gäste- und Reservierungsdaten, und die Nutzung von (automatisierten) Hotelsystemen: Welche Projekte verfolgen Sie hier?

Ich denke, wir müssen Daten zuerst verstehen, dann richtig verwalten um sie anschließend zu behandeln und daraus zu lernen. Zum Händeln sehe ich eine Kombination zwischen einem CRM- und einem RMS-Tool oder zusätzlich sogar mit dem PMS-Tool als relevant. Durch die Coronakrise ergibt sich ein neues Buchungsverhalten der Reisenden. Die Reisenden möchten “fully flexible”-Tarife: während wir vorher 80% Prepaid-Reservierungen hatten, sind wir nun bei 20%, es bessert sich langsam wieder.

Die Gäste reisen sehr kurzfristig an, auch als Familie: wir hatten Tage, an denen mehrere Familien mit Kleinkindern und Säuglingen für denselben Tag buchten! Ausschlaggebend wird in Zukunft ein verlässlicher Revenue-Manager sein, der eng mit dem CRM verknüpft ist, 5% Erhöhung auf den Zimmerpreis klingt zwar banal, ist aber in Zeiten wie diesen Gold wert. Und man selbst ist gar nicht in der Lage so schnell zu analysieren und zu reagieren wie ein guter Algorithmus. Es gilt, die wirklich relevanten Daten zu nutzen.