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Im Gespräch mit Andreas Steibl, Tourismusverband Paznaun-Ischgl

Online-Marketing 9 Minuten
Ischgl ist nicht austauschbar, die Marke ist für eine ganz bestimmte Zielgruppe positioniert.
Der gebürtige Wiener Andreas Steibl ist seit 2003 beziehungsweise ab 2008 zusammen mit Dietmar Walser Geschäftsführer des Tourismusverbandes Paznaun-Ischgl (im Folgenden mit TVB Paznaun-Ischgl abgekürzt). Zuvor war er unter anderem im Bereich Public Relations und Marketing bei Club Med tätig, für Verkauf und Marketing bei Karthago Reisen, Gullivers Reisen und Intour verantwortlich und arbeitete als Marketingleiter im Tourismusverband Neustift im Stubaital.
Herr Steibl, worin besteht Ihre Aufgabe beim TVB Paznaun-Ischgl und wie groß ist das Team?

Im gesamten TVB Paznaun-Ischgl haben wir über 70 Mitarbeiter. Das Head Office befindet sich in Ischgl, zudem haben wir weitere Ortsbüros in Kappl, See und Galtür. Meine Kernaufgaben sind zugleich meine Stärken, also Vermarktung, Vertrieb und Produktentwicklung. Dabei geht es vor allem um Innovation. Meine Aufgabe ist es, Trends und Visionen aufzufassen und diese für unsere Destination maßgeschneidert zusammenzustellen sowie die Markenbildung der gesamten Destination nach außen auf den verschiedenen Märkten zu positionieren. Ich bin sozusagen der “Außenminister” vom TVB.
Was macht die Marke “Ischgl” so einzigartig und begehrlich?

Unser Erfolg liegt darin, dass die Marke so geschärft und klar abgegrenzt ist. Ischgl ist nicht austauschbar und die Marke ist für eine ganz bestimmte Zielgruppe positioniert. Es ist nicht wie in vielen anderen Destinationen, die versuchen alle möglichen Bereiche abzudecken. Wir hatten den Mut zu sagen: “Wenn du diese Bedürfnisse hast, die wir abdecken können, gibt es keine Alternative. Wenn du aber etwas anderes suchst, wie beispielsweise einen Kinderort oder sanften Tourismus, dann sind wir die falsche Destination.” Dies hört sich etwas drastisch an, es war jedoch unumgänglich für die Schärfung der Marke.
Zudem haben wir diese Begehrlichkeit dadurch erlangt, dass wir - für österreichische Verhältnisse - auf einem preislich hohen Segment angesiedelt sind. Unsere Zielgruppe identifiziert sich im Tourismus mit der Marke “Ischgl”, so wie man sich in der Konsumgüter-Branche mit bestimmten Auto- oder Uhren-Marken identifiziert. Das war unser Ziel für Ischgl und es ist uns gut gelungen.
Unsere Zielgruppe identifiziert sich im Tourismus mit der Marke “Ischgl”, so wie man sich in der Konsumgüter-Branche mit bestimmten Auto- oder Uhren-Marken identifiziert.
Haben Sie diese Markenbildung gestartet?

Der Prozess wurde 1995, mit dem Elton John Konzert, gestartet, ich bin erst danach zum TVB gekommen. Das Konzert sollte als Verkaufsförderung dienen, um das Skifahren im April zu bewerben. Ein verbreitetes Problem war nämlich, dass die Gäste im April bereits mit Sommeraktivitäten, wie Mountainbiken oder Golfen, anfangen wollten. Daher hatte man die Idee, dieses Konzert zu veranstalten, allerdings ohne strategischen Hintergedanken. Man wollte Tickets und Skipässe verkaufen und gleichzeitig die Betten füllen - und die Rechnung ist aufgegangen.
Ich bin später zum TVB gestoßen, und das hat von Beginn an richtig gut gepasst. Wir haben infolge die Saisonsstart-Konzerte eingeführt und inzwischen haben wir drei Konzerte pro Saison: zum Opening, zu Ostern und beim Closing. Die Konzerte sind ein USP der Marke “Ischgl” und wirken verkaufsfördernd. Wir sind in den Zeiträumen immer voll ausgebucht, sind bei den Künstlern hochqualitativ angesiedelt und bekommen einen starken Output von den Medien. Im Schnitt sind pro Konzert zwischen 250 und 300 Medienvertretern anwesend.
Gibt es ähnliche Marken, die in den letzten 15 Jahren so stark gewachsen sind?

Auf österreichischer Ebene weniger. Wir sind eine relativ junge Destination, die sich erst in den Sechzigern und Siebzigern entwickelt hat. Zu diesem Zeitpunkt war Kitzbühel schon eine große Destination. Lech und St. Anton am Arlberg haben schon Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Skitourismus angefangen. Damals war Ischgl ein armes Bergbauerndorf. Unsere Vorfahren konnten sich nur durch das Schmuggeln über den Grenzübergang zu Samnaun über Wasser halten. Kitzbühel, Sölden, St. Anton und Lech sind sehr bekannt und die Bekanntheit ist natürlich ein Teil des Erfolgs. Diese Marken sind aber meiner Meinung nach nicht so geschärft wie die Marke “Ischgl”.
Zum Skifahren gibt es allerdings keine Alternative, da dies immer das Hauptbedürfnis für Winterurlauber sein wird: Wenn es das Skifahren in den Alpen nicht mehr gibt, dann gibt es keinen Winterurlaub mehr.
In einem Krone Interview vom 05.02.2019 sagen Sie “Für uns gibt es keine Alternative zum Skifahren und zu unseren Konzerten.” Bleiben Sie dabei oder gibt es Bestrebungen künftig auch den Sommer zu beleben bzw. weitere Themenschwerpunkte zu entwickeln?
 
Diese Aussage war ausschließlich auf die Wintersaison bezogen. Es ging darum, komplementäre Angebote für den Winter anzubieten. Zum Skifahren gibt es allerdings keine Alternative, da dies immer das Hauptbedürfnis für Winterurlauber sein wird: Wenn es das Skifahren in den Alpen nicht mehr gibt, dann gibt es keinen Winterurlaub mehr.
Gleichzeitig sehe ich Destinationen, die nur eine Saison haben, sehr kritisch. Das hat negative Auswirkungen für die lokalen Betreiber, da sie Innovationen verlieren und die Entwicklung stehen bleibt. Ganzjahrestourismus ist also immer wünschenswert. Man muss das jedoch abgrenzen: Das Tempo, das wir in Ischgl im Winter fahren, können wir nicht ganzjährig beibehalten. Wir haben eine sehr lange und intensive Saison von November bis Mai. Dieselbe Intensität würden Gastgeber und Mitarbeiter ein gesamtes Jahr über nicht schaffen. Wenn man allerdings ab Ende Juni drei Monate Sommersaison hat, dann ist dies ein wichtiger Faktor, um die Mitarbeiter zu halten. Daher haben wir als TVB den Sommer stark im Fokus. Wir sind damit beschäftigt, dafür eigene Produkte und Angebote zu entwickeln. Die Schattenseite einer starken Wintermarke ist, dass wir im Sommer ebenfalls etwas anbieten müssen, das zu Ischgl passt. Es gibt bereits einige Projekte, die wir im Gespräch haben und die Ischgl im Sommer einzigartig machen würden, ohne die Marke zu verwässern.
Man wird pro Tag von ca. 3.000 Werbebotschaften über digitale Kanäle beeinflusst und nur vier davon bleiben hängen. Ziel ist es natürlich, bei diesen vier dabei zu sein.
In welchen Bereichen des Online-Marketing und der Online-Kommunikation ist der Tourismusverband Paznaun-Ischgl (hauptsächlich) tätig? Welche Budgets und Schwerpunkte (Kanäle, Formate, Themen) gibt es?

Gerade bei Konzerten und Ereignissen funktioniert die Distribution auf Social-Media-Kanälen richtig gut. Social Media ist ein zu junges Instrument, um jetzt schon zu evaluieren, was richtig oder falsch ist. Das wird erst in einigen Jahren möglich sein und in der Zwischenzeit muss man damit noch etwas experimentieren. Dieses Instrument sollte also unbedingt genutzt werden, kann jedoch kein Grundpfeiler für eine Marketingstrategie sein.
Im Bereich Online-Marketing haben wir ein sehr umfangreiches Budget. Das Thema Werbung entwickelt sich sehr interessant aus Sicht der Aufnahme bei den Endverbrauchern. Man wird pro Tag von ca. 3.000 Werbebotschaften über digitale Kanäle beeinflusst und nur vier davon bleiben hängen. Ziel ist es natürlich, bei diesen vier dabei zu sein. Man drängt sich bei den digitalen Werbemitteln oft auf, beispielsweise durch die Werbung in Youtube-Videos oder durch Pop-ups. Wenn man einen qualitativ hochwertigen Content hat, aber dieser den Nutzern aufgezwungen wird, dann ist das nicht zielführend. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass man sich unter diesen “Top- 4” positionieren kann, wenn man sich Mühe gibt und die Aufmerksamkeit verdient.
Nach welchen KPIs werden Online-Kommunikation, Online-Marketing-Kampagnen und die Content-Erstellung gemessen und bewertet?

Wie auch im Bereich Online Marketing Hotellerie werden bei Performance-Kampagnen die Conversions bewertet, bei den Image-Kampagnen messen wir hingegen die Reichweite und das Engagement. Wir haben zum Beispiel auf der Internetseite ischgl.com ein eigenes System, über das man alle Häuser in Ischgl provisionsfrei buchen kann. Dadurch kann man die Conversions gut nachvollziehen. 
Wie erfolgreich ist die kostenlose Ischgl-App? Welche Funktionen kommen bei den Gästen am besten an?

Mit der App haben wir bereits um die 150.000 Downloads erreicht. Für die Gäste sind vor allem die Bereiche Skigebiet, Wetter sowie die interaktiven Elemente interessant. Da gibt es zum Beispiel die Schmugglerrunde, eine Skitour, die bis nach Samnaun geht und bei der man verschiedene Touchpoints erreichen muss.
Bezüglich Servicedienstleistungen vor Ort wollen wir uns weiterentwickeln. Kostenlose WLAN-Verbindungen gibt es bereits in unseren Restaurants im Skigebiet. Wir wollen versuchen das flächendeckend in der ganzen Destination anzubieten.
Wir haben damit begonnen, die Daten unserer Stammkunden mittels Kundenkonten zu sammeln. Diese unterstützen uns dabei, das Markenerlebnis zu verbessern.
Mit welchen Herausforderungen kämpft der TVB in puncto Digitalisierung? Worin sehen Sie hierbei das größte Potential für Ischgl?

Nach der Österreich-Werbung haben wir im Winter den höchsten Traffic auf unserer Internetseite und die Datenmenge, die wir zugespielt bekommen, ist enorm. Dieses Volumen nutzen wir noch nicht vollkommen aus, aber wir sind dabei uns weiterzuentwickeln. Für die Internetseite haben wir uns Booking.com als Beispiel genommen. Diese Einfachheit - der simple Buchungsprozess für die Nutzer und die einfache Wartung für die Betriebe - war immer unser Ziel. Das haben wir so umgesetzt und sind schon sehr gut aufgestellt.
Zudem haben wir angefangen Daten zu unseren Stammkunden, die 60 bis 70 Prozent unserer Gäste ausmachen, zu sammeln. Wir bieten ein Kundenkonto an, bei dem wir bereits 20.000 Anmeldungen haben. Die Daten, die wir dabei erhalten, helfen, das Markenerlebnis zu verbessern. Die Gäste bekommen eine Ischgl Member-Card, wodurch sie Benefits nutzen können, zu denen andere Gäste keinen Zugang haben. Wir sind gerade dabei, die passenden Benefits in einer Arbeitsgruppe auszuarbeiten.
Wie wird in Ihrem Team Innovation gefördert? Welcher Strategie folgt der TVB Ischgl, um stets am Puls der Zeit zu sein?

Wichtig ist es, ein Teamplayer zu sein, Einzelkämpfer sind fehl am Platz. Ich bin vielleicht nach außen das Gesicht von Ischgl, aber ich bin so gut unterwegs, weil wir ein so gutes, gemeinschaftliches Team habe. Für Mitarbeiter ist diese Gemeinschaftlichkeit ein wichtiger Faktor. Um den Zusammenhalt zu stärken, haben wir montags gemeinsame Sitzungen, bei denen wir aktuelle Themen besprechen und alle drei Monate unternehmen wir gemeinsam etwas. Das schweißt das Team zusammen und ist sehr wichtig für uns. Bei der Mitarbeiterbindung auf Destinationsebene spielt zudem die Ischgl Crew Card eine wichtige Rolle. Wir haben gesehen, dass die Erfolgsbilanz beachtlich ist und ich hoffe, dass unserem Beispiel viele andere Destinationen folgen.  
Wie viel Spaß macht es Ihnen als “Mitarbeiter” des TVB immer wieder Weltstars und Showgrößen wie Lenny Kravitz, Robbie Williams oder Elton John persönlich zu treffen?

Das macht enorm viel Spaß und ist mein Benefit im Job. Die Arbeit ist aufwändig, jedoch ist es jedes Mal ein tolles Erlebnis. Die Stars sind von der Bühne auf über 2.000 m sehr angetan und es freut mich immer wieder zu sehen, wie sie das erleben. Wenn ich dann noch persönlichen Kontakt zu den Stars bekomme, ist das meine Bestätigung, dass wir einen guten Job machen.
Gibt es eine Persönlichkeit aus Tourismus, Marketing oder Technologie, welche Sie schon immer einmal treffen wollten? Warum und was wäre Ihre zentrale Frage an diese Person?
 
Ja, Gilbert Trigano, welcher leider nicht mehr lebt. Er hat es geschafft als einer der ersten Touristiker einen touristischen Brand zu positionieren: den Club Méditerranée. Das ist eine interessante Geschichte, denn er war eigentlich Zelthersteller und hat den Club Med, den damals ein Belgier besaß, beliefert. Der Club war ein Zeltdorf und Trigano hat ihn übernommen, um ein Hüttendorf daraus zu machen. Dabei ist es ihm gelungen, das All-inclusive-Angebot, welches sonst eher als billig wahrgenommen wird, im hohen preislichen Segment anzusiedeln.