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Im Gespräch mit Carsten Seubert, Hotel Adlon Kempinski Berlin - Teil 1

Online-Marketing 6 Minuten
“Das Bedürfnis nach menschlicher Interaktion wird durch die zunehmende Digitalisierung bei einem Großteil der Gäste gesteigert.”
Carsten Seubert durchläuft eine beeindruckende Karriere in der internationalen Luxushotellerie. Bereits seit 2006 ist er bei der Kempinski-Gruppe zu Beginn in München und dann in weiteren Stationen in London, China, Bulgarien und Wien, bevor er in die deutschen Hauptstadt kam. Im Oktober 2017 übernahm er die Aufgabe des Hotel Manager im renommierten Hotel Adlon Kempinski Berlin und verantwortet seitdem alle betrieblichen und operativen Abläufe sowie die Führung der 420 Mitarbeiter.  
Was macht das Hotel Adlon Kempinski Berlin so einzigartig?

Die Einzigartigkeit liegt vor allem in der Geschichte des Hotels begründet. 1907 wurde das Adlon im internationalen Kontext als das Luxushotel eröffnet, damals mit starkem Support von Kaiser Wilhelm. Es galt der Anspruch, das beste Hotel der Welt zu sein. Dem wurde es dank der technischen Innovationen wie fließend warmes Wasser auf allen Zimmern, was damals in keinster Weise eine Selbstverständlichkeit war, gerecht. Dieser Anspruch nach Weltklasseniveau war nach wie vor erhalten, als das Hotel 1997 unter dem Betreiber Kempinski wiedereröffnete. Die Qualitätsstandards prägen das Adlon damals wie heute. 
Gewähren Sie uns einen kurzen Einblick in die lange Geschichte in eines der berühmtesten Hotels Europas?

Seit der Eröffnung 1907 galt das Hotel als Treffpunkt für Staatsgäste, die Crème de la Crème der Gesellschaft, Kaiser Wilhelm selbst und die Stars und Sternchen jener Zeit. Die beiden Weltkriege überstand das Gebäude gut, brannte jedoch kurz nach dem zweiten Weltkrieg aufgrund eines Feuers im Keller bis auf die Grundmauern ab. Um die Ursache ranken sich viele Legenden. Eine der wahrscheinlichsten Optionen besagt, dass russische Soldaten beim Feiern etwas übertrieben haben und durch Zigaretten im Weinkeller das Haus in Brand gesetzt wurde. Die Wahrheit werden wir nie erfahren. Da das Gebäude sich nach 1961 direkt an der Berliner Mauer befand, lag es seitdem ungenutzt brach, bis es 1997 als Teil der Kempinski-Gruppe wiedereröffnet wurde. 
Wie wichtig ist es speziell für das Adlon Berlin ein großes Unternehmen und eine Vorzeigemarke wie Kempinski als Rückhalt zu haben? Gibt es Bereiche oder Situationen wo Sie gerne unabhängig wären?

Natürlich merkt man, dass man Teil einer Muttergesellschaft ist, vor allem aber im positiven Sinne. Dadurch ergeben sich ganz andere Distributionsmöglichkeiten und Vertriebs- und Marketingkanäle und man profitiert von der Markenpräsenz als Gruppe. Besonders, weil sich Kempinski und das Adlon in der Positionierung komplementieren. Kempinski setzt klar auf das 5-Sterne-Luxussegment und legt damit die hohen Qualitätsstandards fest. Das Adlon kann dabei als Speerspitze angesehen werden.

Gleichzeitig legt die Kempinski-Gruppe viel Wert auf den individuellen Charakter jedes einzelnen Hauses. Das spiegelt sich auch in der Namensgebung wieder. Schließlich heißt das Hotel “Hotel Adlon Kempinski Berlin” und nicht “Kempinski Hotel Adlon Berlin”. “A collection of individuals “ lautete mal ein inoffizieller Slogan der Gruppe, die übrigens die älteste, unabhängige Luxushotelkette Europas darstellt. Sie ist eine der wenigen Gruppen, die nicht Teil einer Mega-Brand sind, dieser Markenvereinigungen, die die Hotellerie durchaus dominieren. Kempinski sieht sich damit als kleiner, agiler Fisch im Becken der großen, etwas schwerfälligen Dampfer. 
Sie waren für Kempinski bereits weltweit in führenden Positionen tätig. Waren die alltäglichen Herausforderungen in den verschiedenen Ländern ähnlich oder gab es große Unterschiede?

Das Kerngeschäft und die Essenz meiner Arbeit ist an sich sehr ähnlich, nämlich der Umgang mit Menschen, seien es die Mitarbeiter oder Gäste. Kulturell gibt es jedoch sehr große Unterschiede. Ob London oder Peking, Bulgarien oder Berlin - schon allein die Grundvoraussetzungen wie zum Beispiele die Lebensweise der Mitarbeiter, sowie die landestypischen Gepflogenheiten sind komplett verschieden. Dadurch verändert sich die Herangehensweise des täglichen Tuns.
Zum Beispiel habe ich die Erfahrung gemacht, dass man in China genauer kommunizieren muss und weniger Spielraum für Interpretationen lassen darf, um Missverständnisse zu vermeiden. Denn kulturell bedingt sind die Mitarbeiter sehr gut darin, Anweisungen akkurat zu befolgen. Dass die Kellner eines neu eröffneten Buffet-Restaurants mit westlichem Essen gebrauchte Messer und Gabeln nicht abgeräumt, sondern akkurat auf dem Platzdeckchen platziert haben, begreift man erst, wenn man weiß, dass sie die Gewohnheit, ein Set von Essstäbchen für ein gesamtes mehrgängiges Menü zu verwenden, auf das westliche Besteck transferiert haben. Dieses Verständnis und Feingefühl gilt es zu entwickeln. 
Wir schauen ja mittlerweile sehr viel nach China. Ist es umgekehrt genauso?

Ich habe festgestellt, dass die Mitarbeiter in China - egal ob in ländlichen Regionen oder in der Hauptstadt - sehr wissbegierig und neugierig sind, was Europa betrifft. Gleichzeitig sind sie sich durchaus bewusst, dass sie sehr viel Wissen, Qualität und Kompetenz im eigenen Land haben, vor allem im Bereich der Digitalisierung. Ich habe definitiv kein Abschotten, sondern einen Willen zur Weiterentwicklung erlebt. 
Der größte Unterschied zwischen digital und analog zeigt sich für mich im direkten Kontakt zum Gast, darauf legen wir hier sehr viel Wert.  
Apropos Digitalisierung: Vielleicht habe ich eine falsche Vorstellung oder Erwartungshaltung, aber wenn ich Gast im Adlon wäre, hätte ich gerne einen analogen Service.

Das ist in weiten Teilen tatsächlich so. Ein gewisser technologischer Standard gehört natürlich wie fließend Wasser mittlerweile längst zur Ausstattung eines Hotels. Der größte Unterschied zwischen digital und analog zeigt sich für mich im direkten Kontakt zum Gast, darauf legen wir hier sehr viel Wert. Das entspricht - wie Sie gesagt haben - der Erwartungshaltung des Gastes und ist der Grund, warum Sie hier mehr zahlen als in manch anderem Hotel, weil der analoge Service überhaupt stattfindet und noch dazu authentisch und auf einem sehr hohen Niveau ist.
Proaktive Empfehlungen geben wir umso besser, je mehr wir über den Gast wissen. Das beginnt schon beim Buchungszeitraum, anhand dessen wir Schlüsse auf mögliche Interessen und Bedürfnisse ziehen können. Digitalisierung ist dafür natürlich unausweichlich.   
Im Hintergrund hat die Digitalisierung wohl trotzdem starken Einfluss. Wenn ich zum Beispiel während der Tourismusleitmesse ITB drei Tage bei Ihnen zu Gast gewesen wäre, was würden Sie über mich wissen?

Gesetzt, dass Sie im Rahmen der DSGVO Ihr Einverständnis gegeben haben, sammeln wir unter dem Stichwort Guest Intelligence alle Daten über unsere Gäste - vom gebuchten Zimmer bis zu Sonderwünschen. Ob Sie lieber Rot- oder Weißwein trinken, bestimmte Kissen bestellt haben oder wann Sie Geburtstag haben. Wir schicken unseren Gästen eine Pre-Arrival-E-Mail, um bestimmte Dinge abzufragen und so den Aufenthalt des Gastes zu personalisieren und noch angenehmer zu gestalten.
Proaktive Empfehlungen geben wir umso besser, je mehr wir über den Gast wissen. Das beginnt schon beim Buchungszeitraum, anhand dessen wir Schlüsse auf mögliche Interessen und Bedürfnisse ziehen können. Digitalisierung ist dafür natürlich unausweichlich. 
Um es auf den Punkt zu bringen: Unsere Zielgruppe wird trotz der Digitalisierung sicher nicht kleiner. Langfristig wird eher das Gegenteil der Fall sein.   
Spielt die Digitalisierung aller Bereiche unseres Lebens dem Adlon nicht extrem in die Karten, weil es im Gegensatz dazu das Persönliche bewahren und sich damit abheben kann?

Durchaus. Ich bin der Meinung - und das ist ein bisschen schizophren, denn ich bin ein großer Fan der Digitalisierung überall dort, wo kein persönlicher Kontakt notwendig beziehungsweise gewünscht ist -, dass das Bedürfnis nach menschlicher Interaktion durch die zunehmende Digitalisierung bei einem Großteil gesteigert wird. Es gibt sicher Menschen, die sich in diese Anonymität flüchten, doch für viele, und das ist definitiv unser Markt, bieten wir dann den persönlichen Kontakt. Um es auf den Punkt zu bringen: Unsere Zielgruppe wird trotz der Digitalisierung sicher nicht kleiner. Langfristig wird eher das Gegenteil der Fall sein. 
In Teil 2 des Interviews mit Carsten Seubert: Einblicke in die Marketing- und PR-Arbeit des Hotel Adlon Kempinski Berlin sowie in das Sicherheits- und Hygienekonzept in Zeiten von COVID-19. Die abschließenden Fragen geben Ausblick auf die Zukunft der (Luxus-)Hotellerie und zeigen die persönlichen Gedanken und Meinungen des vielgereisten Hotel Managers auf.