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Im Gespräch mit Verena Jaeschke, Hotel Oderberger Berlin

Online-Marketing 11 Minuten
Direkter Kontakt zum Gast und Digitalisierung schließen sich nicht aus.
Verena Jaeschke ist promovierte Kulturwissenschaftlerin und derzeit als Direktorin im Hotel Oderberger Berlin sowie als Business Development Manager im GLS Sprachenzentrum tätig. Das ehemalige Stadtbad Oderberger im Stadtteil Prenzlauer Berg wurde 2011 an das GLS Sprachenzentrum verkauft, dessen Gründerin und Inhaberin Barbara Jaeschke ist, die Mutter von Verena Jaeschke. Im Februar 2016 wurde das Hotel Oderberger als denkmalgeschütztes Boutique-Hotel wiedereröffnet.
Was macht das Hotel Oderberger so einzigartig und zur starken Marke?

Ich finde es schön, wie Ihnen gleich beim Reinkommen aufgefallen ist, dass es sich hier nicht so sehr wie in einem Hotel anfühlt. Genau das macht unser Konzept aus. Das Oderberger ist zwar ein Boutique-Hotel und bietet alle Leistungen, die man von einem Haus auf diesem Niveau erwartet, das Besondere ist jedoch, dass es auch ein öffentlich zugängliches Schwimmbad ist. Wir sind ein Treffpunkt für die Nachbarschaft, für unseren Kiez, wie man in Berlin sagt. Mit dem Schwimmbad, der Bar und dem Restaurant bieten wir viele Orte, die für Berliner offen sind. Dieses Haus ist ein Teil einer besonderen Berlin-Erfahrung und gleichzeitig eine Erfahrung für die Berliner selbst.
Authentizität ist ein wichtiges Thema in der Hotelbranche. Gerade im städtischen Raum ist Airbnb ein großer Konkurrent für Hotels. Und was macht Airbnb so besonders? Die authentische Erfahrung. Man hat das Gefühl, dass man Teil des Lebens der Stadt ist. Meiner Meinung nach, können Hotels das genauso. Das habe ich mir von meiner Mutter abgeguckt, die immer sagt: “Die Leute wollen nicht mehr in diesen austauschbaren Zimmern sein, wo man - gerade wenn man geschäftlich viel reist - am Morgen aufwacht und nicht weiß, ob man in London, Shanghai oder Barcelona ist.” Wir unterscheiden bei unseren Gästen nicht zwischen Businessgast oder Freizeitreisende. Unsere Gäste eint, dass sie eine besondere Erfahrung im Hotel suchen.  
Gewähren Sie uns einen kurzen Einblick in die lange Geschichte des Hotel Oderberger vom Stadtbad zum denkmalgeschützten Luxus-Boutique-Hotel?
 
Dieses Gebäude wurde 1902 als sogenannte Volksbadeanstalt eröffnet. Hier gab es nicht nur das Schwimmbad, das man so zentral beim Reinkommen sieht, sondern auch knapp 200 Dusch- und Badekabinen. Es war also direkt gesagt eine Hygieneanstalt. Das Schwimmbad war bis 1986 in Betrieb, die Dusch- und Badekabinen sogar bis Mitte der neunziger Jahre. In dieser Zeit hat das Bad ohne größere Schäden zwei Weltkriege überlebt, war Teil der DDR und wurde dann, weil es baufällig geworden war, geschlossen. 
Es hat sich daraufhin recht schnell eine Anwohnerinitiative gebildet, die sich zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen und die Immobilie gekauft hat, mit dem Ziel, es als öffentliches Schwimmbad zu sanieren. Aus monetären Gründen hat dies leider nicht geklappt, allerdings hat die Genossenschaft erreicht, dass die ehemalige Volksbadeanstalt ein zweites Leben als Off-Location bekam. Gerade in der Nachwendezeit haben hier Tanzperformances, Theateraufführungen und wilde Partys stattgefunden.
2011 haben wir als Familienbetrieb schließlich das Gebäude erworben. Wir sind mit dem GLS Sprachenzentrum eigentlich ein Unternehmen aus dem Sprachreise-Bereich. Die Firma gibt es seit über 30 Jahren und seit über 12 sind wir im Prenzlauer Berg, wo es bereits Unterkünfte für unsere Kursteilnehmer aus dem Ausland gab. Durch die Sanierung des Oderberger Stadtbades konnten wir wachsen und haben gleichzeitig ein besonderes Konzept für dieses besondere Haus entwickelt.  
Man feiert bei Ihnen wirklich Feste “auf dem Wasser” des ehemaligen Stadtbads? Das klingt sehr extravagant und einzigartig. 

Da wir keine öffentliche Förderung für diesen Badebetrieb bekommen, haben wir die Zusage von der Stadt erhalten, den Badebetrieb im Schnitt zwei Tage die Woche schließen zu dürfen. In dieser Zeit wird die Schwimmhalle für Veranstaltungen vermietet. Der Boden des Schwimmbades, ein sogenannter “Hubboden”, kann durch eine Hydraulikfunktion nach oben fahren. Das Wasser geht links und rechts und durch Luken in der Mitte in ein darunter gelagertes Auffangbecken und bleibt so warm und sauber. Der Boden wird einfach mit einer Schutzfolie abgedeckt und dann tanzt man sprichwörtlich auf dem Wasser. 
Man darf nicht vergessen, dass Hotels - gerade inhabergeführte Hotels - von Menschen gemacht werden.
Haben Sie viele Stammgäste?

Ja und wir hegen und pflegen unsere Stammgäste. Als wir an den Markt gegangen sind, haben wir ein sogenanntes Soft-Opening gemacht, weil noch nicht alle Bereiche des Hauses fertig waren. Wir haben jetzt immer noch regelmäßig Gäste, die uns seit dieser “Stunde Null” begleiten. Das ist für uns etwas Besonderes. Man darf nicht vergessen, dass Hotels - gerade inhabergeführte Hotels - von Menschen gemacht werden. Wir sind hier keine Service-Maschinen, sondern freuen uns über unsere Gäste. Deshalb ist es für uns schön, wenn Gäste eine Beziehung zum Hotel Oderberger haben. 
Sie haben als Quereinsteigerin einen sehr interessanten Lebenslauf. Was hat Sie nach Ihrem Doktorat in Kulturgeschichte veranlasst ein Boutique-Hotel mitzugestalten und dieses persönlich zu führen?

In meiner Brust schlugen immer schon zwei Herzen. Ich habe einerseits eine starke akademische Seite, habe ein geisteswissenschaftliches Studium abgeschlossen und mich entschieden zu promovieren. Auf der anderen Seite ist es ein wichtiger Teil meiner Identität, “stolze Tochter” zu sein. Ich bin aufgewachsen mit einer Gründerfigur in meiner Welt, die eine Frau mit drei Kindern ist. Meine Mutter hat das natürlich mit meinem Vater zusammen gemacht aber de facto hat sie kurz vor meiner Geburt die Firma gegründet. Das GLS Sprachenzentrum führt sie bis heute und wir als Hotel Oderberger gehören dazu. Mit diesem Unternehmertum geht eine große Verantwortung einher. Man muss das mit Herz und Seele betreiben, hinter dem stehen, was man tut und einstehen für die Menschen, für die man Verantwortung übernimmt. Gleichzeitig ist es wichtig, immer dynamisch zu bleiben und Lust auf Neues zu haben, damit man nicht hinter den Markt zurückfällt. Wie meine Mutter immer sagt: “Was heute gut ist, ist morgen alt.” Man muss, auch wenn man heute schon gut positioniert ist, immer schauen wie man sich weiterentwickeln kann. Das ist das, was meine Mutter und mein Vater mir mein ganzes Leben lang vorgelebt haben und entsprechend habe ich einen starken Hang zur freien Wirtschaft. In der Bauphase des Hotel Oderberger hat sich dann abgezeichnet, dass ich eine Neigung zur Inneneinrichtung habe. So kam es, dass ich hier die Innenausstattung gemacht und dabei gemerkt habe, dass man ein Hotel nicht einrichten kann, wenn man nicht weiß, wie es sein soll. Folglich habe ich einige grundsätzliche strategische Fragen gestellt und daraus hat sich die Hotelleitung ergeben. 
Wie spiegelt sich Kunst im Konzept des Hotel Oderberger wieder und wie präsent ist diese für den Gast?

Wir stellen hier viel Kunst aus, von Menschen, die in Berlin leben und arbeiten. Wo die Künstler herkommen ist egal, aber der Lebens- und Schaffensmittelpunkt ist Berlin. Optimaler Weise haben die Arbeiten einen Bezug zur Stadt oder zu unserem Haus. Da gibt es zum Beispiel die Fotos aus der Serie POOL AROUND ME von Johanna Keimeyer. Die Fotos hängen in all unseren Hotelzimmern und man sieht sie auch auf unserer Internetseite. In dieser Serie geht es inhaltlich um Denkprozesse unter Wasser, das Gefühl von Leichtigkeit, das man da hat. Die Beziehung zu unserem Hotel ist jedoch die örtliche, da sie in Hotelpools auf der ganzen Welt fotografiert wurden. Wir haben uns in der Sanierungsphase getroffen und Johanna Keimeyer hat gefragt, ob wir nicht mal ein künstlerisches Projekt zusammen machen wollen. Sie hat dann bei einer Veranstaltung die unsanierte Schwimmbadhalle virtuell mit Wasser gefüllt und für uns hat sich der Kreis geschlossen, als 2016 die Eröffnung des Bades gefeiert wurde und sie hier mit anderen Künstlern eine Tanzperformance im Wasser aufgeführt hat.  
Kriegt der Gast diese ganze Geschichte des Hauses mit?

Es ist tatsächlich eine herausfordernde Aufgabe für uns und für den Gast, diese Vielfalt an Informationen rund um das Haus wahrzunehmen. Wir tun jedoch unser Bestes, um das zu kommunizieren: Jeder Gast hat auf dem Zimmer eine digitale Gästemappe und findet da alles rund um das Hotel. Da werden Künstler vorgestellt, die Geschichte des Hotels erzählt und es gibt eine Rubrik mit Empfehlungen vom Team zu Galerien, Museen, Nachtleben, Restaurants oder Live-Musik. 
Ich sehe mehr Chancen in der Digitalisierung als Risiken und finde, dass die Digitalisierung in der Hotellerie - auch für mittelständische Betriebe und kleinere Betriebe in der ländlichen Region - unausweichlich ist.
Was bedeutet für Sie “Digitalisierung” in der Hotellerie? Welche Chancen und Risiken sehen Sie?

Direkter Kontakt zum Gast und Digitalisierung schließen sich nicht aus. Ich glaube, dass die persönliche Kommunikation mit dem Gast unersetzbar ist, denn der Mensch an sich ist ein soziales Wesen. Da gibt es allerdings einige tägliche Unannehmlichkeiten, zum Beispiel beim Check-in: Manchmal kommen Gäste spät abends an, sind müde und wollen nur noch aufs Zimmer. Da wäre es schön, online einzuchecken und nur kurz an der Rezeption ein “herzlich Willkommen” zu hören. Wenn man dann noch mehr wissen möchte, hat man alle Informationen digital auf seinem Zimmer.
Ich sehe mehr Chancen in der Digitalisierung als Risiken und finde, dass die Digitalisierung in der Hotellerie - auch für mittelständische Betriebe und kleinere Betriebe in der ländlichen Region - unausweichlich ist. Die Digitalisierung ist im Alltag bereits sehr präsent. Wir buchen Reisen online, bestellen bei Amazon, ersteigern Sachen bei eBay und erwarten uns, dass es digitale Lösungen für die Unannehmlichkeiten des Lebens gibt. Deshalb sollte man in Hotels darauf achten, wo Digitalisierung eingesetzt werden kann - nicht nur beim Buchungsprozess, sondern auch während des Aufenthalts. Die Mitarbeiter sollen dadurch ja nicht ersetzt werden, sie sollen nur entspannter sein und Zeit haben, um den Gästen Tipps zu geben. 
Ich denke, es eine gute Strategie, OTAs als Partner zu sehen und gleichzeitig sein eigenes Marketing zu machen, um Direktkunden zu akquirieren und Kunden im Haus langfristig an sich zu binden.
In Städten sind OTAs sehr präsent, wie handhaben Sie dieses Thema in Sachen Kommunikation zu den Gästen?

Wir sehen OTAs als Partner. Natürlich entstehen bei Buchungen über OTAs Kommissionskosten, grundsätzlich haben OTAs aber ganz andere Budgets, was das Online-Marketing und die Erschließung von internationalen Vertriebskanälen angeht. Insofern denke ich, ist es eine gute Strategie, OTAs als Partner zu sehen und gleichzeitig sein eigenes Marketing zu machen, um Direktkunden zu akquirieren und Kunden im Haus langfristig an sich zu binden.
OTAs gehören zu unserem Umsatzmix, der Großteil unserer Gäste sind allerdings eigene Gäste, die wir online, durch PR oder durch persönliche Empfehlung akquirieren. Der Service am Gast erleichtert die Arbeit da sehr, da die Menschen dann wiederkommen und das Hotel weiterempfehlen.  
Haben Sie ein eigenes Team im Bereich Marketing / Online-Marketing & Kommunikation?
 
Wir haben ein kleines aber feines Marketing-Team und machen sehr viel selbst, wie Bewertungen beantworten, die Internetseite pflegen oder PR. Wir holen uns jedoch immer partiell Unterstützung von verschiedenen Agenturen, wenn es zum Beispiel um Suchmaschinenoptimierung oder um die Auswertung von Besucherströmen auf der Internetseite geht. Wenn man als Hotelier ein Team zu führen, ein Haus instand zu halten, Gäste zu betreuen hat und sich um unternehmerische Fragen wie Finanzbuchhaltung kümmern muss, ist es nicht so einfach sich zusätzlich bei bestimmten Themen im Bereich Online-Marketing einzuarbeiten. Daher ist es sinnvoll sich nach Agenturen umzuschauen, die einen ein Konzept und Betreuung anbieten oder zumindest eine Starthilfe geben.  
Ich habe aber allgemein einen sehr großen Respekt vor Hoteliers und Gastronomen, die jeden Tag ihr Haus pflegen, formen und verbessern.
Wenn wir über neue, herausragende Hotelkonzepte auf der Welt sprechen, welche Projekte fallen Ihnen dabei als erstes ein?
  
Da gibt es einige. Wo man als Hotelier gerade nicht weggucken kann, sind die 25hours Hotels. Das ist ein richtig gut gemachtes Konzept. Beeindruckend in einem anderen Segment ist Motel One, die innerhalb kürzester Zeit eine zukunftsorientierte Kette aufgebaut und ein klar definiertes Produkt erstellt haben. Ich habe aber allgemein einen sehr großen Respekt vor Hoteliers und Gastronomen, die jeden Tag ihr Haus pflegen, formen und verbessern. 
Gibt es eine Persönlichkeit aus dem Tourismus (oder gerne aus einem anderen Bereich), welche Sie schon immer einmal treffen wollten? Warum und was wäre Ihre zentrale Frage an diesen Menschen?

Es ist schwer, das auf eine Person einzugrenzen. Es gibt viele Persönlichkeiten - sowohl Männer als auch Frauen - die mich beeindrucken. Mir fällt allerdings auf, dass es in den letzten Jahrzehnten sehr viele präsente Frauencharaktere gegeben hat. Dabei finde ich es wirklich interessant, was Vorbildfunktionen ausmachen - und das gilt nicht nur für Frauen, sondern generell für eine diverse Gesellschaft. Wenn ich Menschen sehe, mit denen ich mich identifizieren kann, oder wenn ich von ihnen lese, dann habe ich das Gefühl, dass ich nicht alleine bin und dass es positive Beispiele für meine Art von Mensch gibt. Das kann eine Frau in einer Führungsposition sein. Das kann eine Frau in der Kosmetikwerbung sein, die nicht perfekt ist. Das kann im Endeffekt alles Mögliche betreffen, ob LGBT, kulturelle Vielfalt oder Inklusion bei körperlichen Beeinträchtigungen. In meinem Fall sind es diese starken Frauencharaktere, die sich auf vielfältigste Weise durchgebissen haben. Diese Vorbilder helfen und ermutigen und deshalb würde ich nicht eine spezielle Person, sondern pauschal die starken Frauen da draußen ansprechen wollen und mich bedanken, dass sie sichtbar und laut sind.