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Im Gespräch mit Dr. Christoph Engl, Oberalp Gruppe AG

Online-Marketing 9 Minuten
Marken bestehen aus intelligenten Inhalten, die zu Sehnsuchtsbildern für die Menschen werden.
Dr. Christoph Engl ist Spezialist für Markenentwicklung mit langjähriger, internationaler Erfahrung, zuletzt bei der Managementberatung BrandTrust. Vorher war er Direktor bei Südtirol Marketing (SMG), wo er die Dachmarke Südtirol entscheidend mitgeprägt hat. Seit September 2018 ist Dr. Engl CEO der Oberalp Gruppe AG. Das 1981 von Heiner Oberrauch gegründete Unternehmen ist neben der Entwicklung und Produktion von Bergsportartikeln auch im Sporteinzelhandel sowie im Großhandel und Vertrieb sportbasierter Marken, wie Salewa, Dynafit, Wild Country, Under Armour, Evolv oder Pomoca, tätig.
Herr Dr. Engl, Sie sind DIE Südtiroler Koryphäe in Sachen Marke. Wann haben Sie die Liebe zur Marke entwickelt und wie ist es dazu gekommen, dass Sie zum Markenspezialisten geworden und danach sogar ins Beratungsgeschäft eingestiegen sind?

Im Jahr 2001 habe ich gemerkt, dass man mit normaler Kommunikation und Werbung nicht weiter kommt. Damals ging es darum, das gesamte touristische Südtirol auf eine neue Stufe zu bringen. Nach der Einführung des Euro hatte Südtirol über Nacht den Wettbewerbsvorteil, die günstigste Urlaubsdestination aus seinen Nachbarländern (Deutschland, Österreich und Schweiz) zu sein, verloren. Es musste eine neue Methode gefunden werden, um dieses touristische Land zu etablieren. Deshalb habe ich mir verschiedene Möglichkeiten angesehen, unter anderem wie Marken so etwas machen. Diese nutzen nicht nur die Kommunikation, sondern arbeiten vor allem am Produkt: Dabei setzen sie klare Grenzen, spezialisieren sich auf bestimmte Produkte und segmentieren diese. All das haben Marken schon immer gemacht und ich wollte diese Methode für die Repositionierung Südtirols anwenden. So bin auf das Thema Marke gekommen.
Damals wurde behauptet, eine Destination könne deshalb keine Marke sein, weil sie aus heterogenen Produkten und nicht nur aus einem einzigen Produkt besteht. Solch eine Aussage kann man glauben, oder man kann überlegen ob diese wirklich stimmt. Ich habe mich entschieden, sie deutlich zu hinterfragen, um festzustellen dass Marken nicht nur aus einem einzigen Produkt bestehen. Sie sind Systeme, die sich bei genügender Positionierungsschärfe auf unterschiedliche Segmente übertragen lassen. Daraus entstand die Idee der Dachmarke Südtirol: Heterogene Produkte mit einer klaren Geschichte, Emotionalität und Positionierung aufzuladen und damit die Trennschärfe zu allen anderen touristischen Produkten im Alpenraum zu schaffen.
Marken bestehen aus intelligenten Inhalten, die zu Sehnsuchtsbildern für die Menschen werden und sie leben von zwei Dingen: Von klarer Positionierung und von Differenzierung.
Was macht eine Marke aus?

Marken bestehen aus intelligenten Inhalten, die zu Sehnsuchtsbildern für die Menschen werden und sie leben von zwei Dingen: Von klarer Positionierung und von Differenzierung. Eine Marke muss erstens den Kunden sagen, warum es sie überhaupt geben darf, was die Überzeugung dahinter ist und warum sich Kunden mit ihr identifizieren sollten. Zweitens muss sich die Marke genügend differenzieren, damit sie Schärfe bekommt und sich abhebt von all den anderen Produkten, Dienstleistungen und Ideen, die es im selben Segment noch gibt. 
Was macht die Marke “Südtirol” so erfolgreich, einzigartig, lebendig und gefühlt sehr resilient?

Als die Marke entstanden ist, haben wir uns gefragt, was die Stärken dieser Destination sind. Südtirol sollte man daran erkennen, wie hier das Thema Genuss skaliert wird. Beim Genussland Südtirol geht es ja nicht nur um das Essen, sondern auch um genüssliches Skifahren und Qualität als Genuss - und an diesem Element wollten wir uns differenzieren. Das wurde in allen Bereichen konsequent durchgezogen - zum Beispiel auch in der Architektur oder Gestaltung, ob in einer Almhütte oder einem Gourmetrestaurant. Wir wollten Genuss auf diese Art und Weise als Lebensart definieren und konnten ein Niveau in die Destination bringen, das als Markenelement erkenntlich ist.
Anschließend fing man damit an, das Thema Klimahaus und unsere Ressourcen, wie 300 Sonnentage, mediterranes Klima und Reinheit der Luft, touristisch zu valorisieren und daraus eine Kommunikation zu stricken. Man hat erkannt, wie hier Lebensraum interpretiert wird - so will man hier wohnen, bauen, essen und sich verhalten. Folglich ist aus dem Genuss- und Aktivland Südtirol der Lebensraum Südtirol geworden - das war die Markenevolution. Dies lässt sich nicht über Kommunikation alleine stemmen, man kann das nur erreichen, indem sich eine ganze Branche an klare Vorgaben und Ideen hält. 
Das gleiche hat sich beim Thema Bauen und Architektur ereignet. vigilius mountain resort von Matteo Thun war damals das Vorzeigeprojekt, wie man Lebensraum bauen und Architektur anders interpretieren kann, als man es gewohnt ist. Das Motto war “Nicht mehr vom Gleichen bitte”, denn es ist ein großes Problem für eine Destinations-Marke, wenn man plötzlich zu viel Homogenität hat und nur mehr das selbe macht. Es geht nicht um Gleiches, sonder um Unterschiedliches nach einem gleichen erkennbaren Muster. Selbstähnlichkeit ist der Treiber der Marke - Dinge zu tun, die eine klare Ausrichtung haben und sich immer in sich ähnlich aber eben nicht gleich sind. 
Es ist uns gelungen, mit dem Vorurteil aufzuräumen, Tourismuswerbung und viel Budget wären die einzigen Gründe dafür, dass Menschen eine Destination für ihren Urlaub wählen.
Sie gelten als Vater der Marke “Südtirol”. Ist Ihr “Kind” in der Zwischenzeit erwachsen geworden? Sind sie heute ein stolzer und zufriedener oder eher ein mahnender Vater?

Ich bin sehr zufrieden, wie sich das entwickelt hat, obwohl man einer Marke die Zeit geben muss, die sie braucht. Vor allem bin ich froh, dass uns gelungen ist, mit dem Vorurteil aufzuräumen, Tourismuswerbung und viel Budget wären die einzigen Gründe dafür, dass Menschen eine Destination für ihren Urlaub wählen.
Sie sprechen von Homogenität und Heterogenität. Wie hat sich die Marke Südtirol in den letzten Jahren entwickelt?

Südtirol ist in den letzten Jahren leider wieder etwas zu homogen geworden. Je länger eine Marke besteht, desto mehr gleicht sich alles an, aber es kommt eine Phase, in der man sich wieder segmentieren muss. Wenn alle Hotels gleich aussehen, alle Programme dieselben Titel haben und es überall dieselben Gerichte gibt, weil das gut funktioniert, verliert eine Marke irgendwann an Attraktivität. Eine starke Marke segmentiert sich, darf dabei aber nicht den Markenkern verlieren - und da ist Südtirol jetzt am Zug.
Wie haben Sie es damals geschafft, das Vertrauen der Politik und aller Leistungsträger im Land zu gewinnen?

Man muss sagen, Markenstatements sind nicht demokratisierbar. Deswegen heißen sie Statement, irgendjemand muss Stellung beziehen, man muss sich irgendwo alleine hinstellen. Dann braucht es die Zustimmung der 35 Prozent damit alles andere sozusagen kippt und daran muss man hart arbeiten. Am Anfang steht die Frage: Wollen wir überhaupt eine Marke machen? Dafür benötigt man die richtigen Leute im richtigen Moment und die hatte man zu der Zeit. Das hat dazu beigetragen, dass man gesagt hat: So müssen wir es machen, auch wenn es Aufruhr schaffen wird.
Eine Marke sieht man an der Kultur und an der Haltung - daran, wie die Dinge gemacht sind - und das muss beobachtbar sein.
Welche Maßnahmen sind im Tourismus nötig, um seinen Beitrag zur Bewältigung der aktuellen globalen Herausforderungen in den Bereichen Klimaschutz, Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung zu leisten?

Südtirol zum begehrtesten Lebensraum Europas zu machen ist die richtige Art der Positionierung und von solch einem begehrten Lebensraum wird erwartet, dass er nachhaltig ist. Die Begehrlichkeit entsteht aus der Achtsamkeit, der Nachhaltigkeit und der Art und Weise, wie man über diese Dinge denkt. Es braucht eine klare Sicht, die in Zukunft weniger als Positionierungselement und viel mehr als notwendiges Kriterium dienen wird. Die Menschen gehen davon aus, dass ein Land wie Südtirol mit all den Möglichkeiten, die es zur Verfügung hat, das Thema Nachhaltigkeit sehr ernst nimmt. Ich glaube dafür setzen wir im Moment noch zu wenig konkrete Zeichen.
Wir reden über Nachhaltigkeit, aber setzen zum Beispiel keine Zeichen der Beschränkung im Weltnaturerbe Dolomiten. Wir lösen das meistens mit Kommunikation, aber nicht mit Haltung und das ist ein Problem, weil man die Stimmigkeit der Marke nicht mehr spürt. Eine Marke sieht man an der Kultur und an der Haltung - daran, wie die Dinge gemacht sind - und das muss beobachtbar sein. Im begehrtesten Lebensraum muss man zeigen, dass man sich beschränkt, dass man alternative Methoden privilegiert, dass man Architektur auf eine gewisse Art und Weise interpretiert. Wenn man da keine spürbaren, sichtbaren und selbsterklärenden Haltungen hat, wird es nicht funktionieren.
“Eine Marke muss immer eine Geschichte erzählen, um Begehrlichkeiten zu wecken.” ist eines Ihrer Credos. Welche Geschichte erzählt die Oberalp Gruppe, für welche Sie nun seit September 2018 als CEO tätig sind? Wie wollen Sie hier in der Markenführung noch helfen?

Indem wir uns in Zukunft noch stärker in unserem Markenportfolio fokussieren. Das Oberalp Markenhaus begeistert Menschen für das Thema Berg und baut Produkte, die dafür geeignet sind - und zwar durch alle Marken hindurch. Uns gibt es deshalb, weil wir glauben, dass das Bewegen am Berg die intelligenteste und sinnvollste Freizeitbeschäftigung ist, die es gibt. Der Berg ist eine “Lebensschule”, diese übersetzen wir in unsere Produkte. Wir machen keine Produkte, die am Berg nicht funktionieren, alles wird einer strengen Prüfung unterzogen und ist am Berg einsetzbar. Unsere Marken helfen den Menschen, sich als Bergliebhaber zu identifizieren und bringen unsere Kunden dieser “Lebenserfahrung Berg” näher. Innerhalb des Hauses haben wir ganz klare Ausrichtungen der einzelnen Marken wie Dynafit oder Salewa mit hoher Differenzierungskraft. Das Markenhaus zieht daraus seine Stärke und ich kenne momentan niemanden, der das in der gleichen Konsequenz mit dem Thema “Berg” macht.
Gibt es eine Persönlichkeit aus Industrie, Tourismus, Marketing oder Technologie, welche Sie schon immer einmal treffen wollten? Was wäre Ihre zentrale Frage an diese Person?

Ich würde gerne Jack Ma, den Gründer von Alibaba, treffen und ihn fragen, was ihn dazu getrieben hat, eine marktwirtschaftliche Massen-Idee in einem diktatorischen Gebilde wie China zu etablieren.
Was glauben Sie, würde er Ihnen antworten?

Ich glaube, er würde sagen, dass er sich in seinen Überzeugungen nicht von der Ideologie hat treiben lassen. Wahrscheinlich empfinden die Chinesen das auch nicht so. Ich war schon oft in China und spreche regelmäßig mit unseren Mitarbeitern dort. Diese empfinden die Überwachung als eine gute Sache und nicht als Einschränkung ihrer Freiheit, weil damit Sicherheit garantiert wird. Das ist ein kultureller Aspekt. Europäer sind oft der Meinung, dass das, was sie als Freiheit empfinden, der Maßstab für die Welt ist. Bei den Chinesen ist das kulturelle Verständnis aber grundlegend anders: Es geht nicht um die individuelle Freiheit, sondern um das kollektive Bewusstsein. Das Gemeinschaftliche ist wichtiger als das Individuelle, wohingegen wir hier eine sehr individuelle Sicht der Wertepyramide haben.