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Im Gespräch mit IFH Jun.-Prof. Dr. Monika Imschloß, Expertin für sensorisches Marketing

Online-Marketing 10 Minuten
Je digitaler eine Gesellschaft wird, desto größer wird das Bedürfnis nach zwischenmenschlichen Erlebnissen, wirklichen Interaktionen und eben sensorischem Erleben.
Prof. Dr. Monika Imschloß ist seit 2015 IFH Junior-Professorin für Marketing und Handel an der Universität zu Köln. Nach ihrem Abschluss in Psychologie dissertierte sie im Fachbereich des multisensorischen Marketings und spezialisierte sich während ihrer Zeit an der Universität Mannheim auf dessen Auswirkungen auf das Kundenverhalten. Auf der ITB in Berlin 2019 war sie Gast der Podiumsdiskussion zur Thematik “New Luxury: Sensorik, Glück und Luxus”.

CopyRight Mark Elsner
Prof. Imschloß, was versteht man unter sensorischem Marketing?

Sensorisches Marketing ist die Ansprache der Sinne; es geht um Maßnahmen, die auditiv, visuell, olfaktorisch, gustatorisch und taktil wahrgenommen werden. Dabei müssen die einzelnen Sinneswahrnehmungen strategisch differenziert werden. Beim olfaktorischen Sinn beispielsweise gibt es den Signature-Hotelduft, weiters den Zimmerduft, den Seifenduft oder im Handel den Umgebungsduft, Produktduft und zufällige Düfte. Bei auditiven Wahrnehmungen kann man Marken-Jingles, den Umgebungsklang oder den Klang, wie die Zimmertür zufällt, differenzieren. Beim Sehsinn geht es primär um Farbe, aber auch um Strukturen oder bei einer Hotel-Website um bewegte oder unbewegte Bilder, Bildqualität, Farbsättigung, Farbton. Wir haben viele verschiedene Parameter und jeder Parameter hat einen Einfluss darauf, wie wir etwas wahrnehmen. Die Farbe und die Farbsättigung meines Tees zum Beispiel hat Einfluss darauf, wie er mir schmeckt. Kurzum: sensorisches Marketing bezieht sich auf die Ansprache oder Aktivierung aller Sinne. 
Welche der fünf Sinne stehen hierbei im Fokus bzw. haben Ihrer Meinung nach das höchste Erfolgspotential im Marketing?

Hier müsste man zuerst definieren, was mit Erfolg gemeint ist. Per se kommt es sicher auf den Kontext an, welche Sinne am stärksten wirken, das lässt sich nicht generalisieren. Im Lebensmittel-Bereich ist Geschmack und Geruch ausschlaggebend, bei manchen Produkten im Handel ist der Duft stärker im Vordergrund, bei anderen wiederum ist es eine Frage der richtigen Beleuchtung. Und wieder bei anderen ist es der auditive Sinn, der die Entscheidung antreibt: hört der Kunde französische Musik, kauft er eher französischen Wein als italienischen. 
Ist das bewiesen? Lassen wir uns tatsächlich so stark beeinflussen? Wenn ja, wodurch?

Ja, viele empirische Forschungsarbeiten belegen die Effekte der sensorischen Ansprache. Beispielsweise zeigt eine Studie, dass Kunden mehr französischen Wein kaufen, wenn im Supermarkt französische (vs. deutsche) Musik gespielt wird. Eine meiner eigenen Untersuchungen in Zusammenarbeit mit einem Lebensmitteleinzelhändler zeigt Ähnliches: Kunden richten ihre Blicke eher auf französische (vs. italienische) Produkte, wenn im Laden französische (vs. italienische) Musik gespielt wird. Es scheint so zu sein, dass die Musik den Kunden mental das Konzept “Frankreich” oder ”Italien“ zugänglich macht und die Musik dadurch eine visuelle Aufmerksamkeitszuwendung induziert.
Aber zurück zur Hotelbranche und zur Ursprungsfrage: Mir würde kein Argument einfallen, warum ein Sinneseindruck weniger wichtig sein sollte als ein anderer. Am ehesten könnte man überlegen, wo der Gast die meisten Berührungspunkte hat. Haptik als Teil der taktilen Erfahrung ist sicher hervorzuheben. Es ist der Sinn, der sich bei einem Baby im Mutterbauch als erstes entwickelt und der einzige Sinn, mit dem wir Menschen die Welt aktiv begreifen. Haptik ist klassischerweise unser Wahrheitssinn. Alles was ich anfasse und dadurch „begreife“, ist wahr. 
Von welchen Unternehmen erhalten Sie Aufträge, was ist dabei genau Ihre Aufgabe?

Derzeit erhalte ich vor allem Anfragen aus dem Handel und aus dem Service-Bereich (Banken, Arztpraxen), vor kurzem die erste Anfrage seitens einer Hotelkette. Bei allen gemeinsamen Forschungskooperationen geht es vor allem darum, zu verstehen, wie sensorische Reize oder auch digitale Aspekte wie zum Beispiel Displays wirken. Hierfür führen wir Experimente mit bzw. in den Unternehmen durch. 
In der Hotellerie ist meines Wissens sensorisches Marketing derzeit nicht weit verbreitet…

Würde man jetzt damit beginnen, wäre man durchaus in einer günstigen Position und könnte einen neuen Standard setzen. Vor allem aber würde man sich differenzieren und auffallen. 
Der Erfolg von sensorischen Marketing hängt auch davon ab, dass Unternehmen die sensorischen Reize nicht lediglich intuitiv sondern strategisch oder gezielt einsetzen.
Ein weiterer ausschlaggebender Vorteil wäre wohl, dass die Konkurrenz den durch sensorisches Marketing umgesetzten Erfolg gar nicht verstehen würde, weil es eine sehr subtile Form von Marketing ist.

Genau, das ist nicht schnell kopierbar, es muss erlernt und ausprobiert werden. Es reicht nicht, dass ich als Hotelier beschließe, Musik abzuspielen und einen Duft zu verbreiten. Ich muss mir genau überlegen, was ich dadurch erreichen möchte und wie ich dahin komme. Der Erfolg von sensorischen Marketing hängt auch davon ab, dass Unternehmen die sensorischen Reize nicht lediglich intuitiv sondern strategisch oder gezielt einsetzen. Nur dann lässt sich auch entsprechend evaluieren, ob die gewünschte Wirkung tatsächlich eingetreten ist oder ob eine weitere Optimierung vorgenommen werden sollte. 
Welche konkreten Anwendungsfälle für sensorisches Marketing gibt es bei touristischen Angeboten und speziell in der gehobenen Hotellerie?

Viele Hotels und Hotelketten haben wie bereits erwähnt ihre eigens kreierten “Signature Scents”. Diese Corporate Düfte kommen als Raumduft, Duschgels, Lotionen etc. zum Einsatz und sind im Shop vor Ort erhältlich. Dieser strategisch eingesetzte Duft unterstützt die Dimension der Hotelmarke und schafft eine bestimmte Atmosphäre für den Gast vor Ort. Mit sensorischem Marketing geht es darum, die positive Erfahrung des Hotelaufenthalts auch nach seiner Abreise, zu Hause wieder tangibel zu machen. Der Aufenthalt soll also nicht nur eine Erinnerung sein, sondern präsent. Der Hotelier überlegt demnach, wie er das tolle Urlaubserlebnis wieder aktivieren kann. Zum Beispiel durch ein Geschenk zum Geburtstag: Ein Showergel mit Signature Duft holt automatisch das ganze Erleben vor Augen. Oder ich gebe dem Gast beim Check-Out etwas haptisches mit, einfach um in der Lebensrealität der Menschen als Hotelmarke präsent zu sein. 
Im Prinzip ein neuer Touchpoint in der Customer Journey, den man nutzen kann, um den Gast an die Marke/das Produkt zu binden. Ein solches haptisches Abschiedsgeschenk bieten bereits viele Hotels des gehobenen Segments an…

Wenn ich mehr als 1.000 Euro pro Nacht bezahle, dann darf ich mir vielleicht ein kleines Geburtstagsgeschenk erwarten. Zusätzlich würde ich mich über eine Personalisierung freuen, die meine gustatorischen Sinne anspricht. So könnte im Hotelrestaurant festgehalten werden, dass sich Premiumgast XY stets dasselbe Essen oder dasselbe Gewürz bestellt habe. Was spricht dagegen, diesem Gast genau diese Gewürzmischung zuzusenden vielleicht mit einem passendem Rezept. Oder weitergedacht: das Hotel schickt mir einen Koch, der mir mein Lieblingsessen aus der Urlaubsdestination daheim kocht. Das Ziel sollte sein, das Urlaubserlebnis zu Hause weiter zu leben und nicht nur auf den Aufenthalt im Hotel vor Ort zu reduzieren. 
Es geht eben nicht bloß um einen Sinn, sondern um die strategische, kohärente Kombination von mehreren Sinnen.
Gibt es hier Vorreiter im Markt? Können Sie uns einige Best-Practice-Beispiele nennen?

Ich kann mich hier nicht auf einen Vorreiter festlegen. Erste gute Ansätze können hoteleigene Playlists auf Spotify und eine strategische Beduftung sein. Und wenn die Bilder, Videos und Beschreibungen auf der Hotel-Internetseite mit den Eindrücken vor Ort übereinstimmen - so wie bei den naturverbundenen, auf Nachhaltigkeit fokussierten Soneva Resorts, die allesamt Barfuß-Resorts sind - dann passt das gut. Es geht eben nicht bloß um einen Sinn, sondern um die strategische, kohärente Kombination von mehreren Sinnen. 
Wird sensorisches Marketing derzeit nur Offline in Points of Sale / Kontaktpunkten erforscht und angewandt oder können erste Studienerkenntnisse und Handlungsempfehlungen auf Online-Marketing & -Vertrieb ausgeweitet werden?

Ja, dahingehend, dass wie soeben angesprochen sensorisches Marketing als Teil der Kommunikation gehandhabt wird und der Kunde oder Gast durch Bilder, Videos oder Beschreibungen das sensorische Erleben vor Ort bereits antizipieren kann. Weitere Sensorik-Elemente auf der Website, die man beeinflussen kann sind die Farbwahl, die Farbgestaltung, Schriftart, Farbsättigung von Farbe. Im oberen Sterne-Segment muss das Design als Ganzes Hochwertigkeit und Qualität ausstrahlen und sollte nicht schäbig wirken. Eine große Hotelkette hat bereits den Vorteil des etablierten Markennamens. Für ein Hotel ohne Bekanntheit hingegen ist die Website der erste visuelle Eindruck, den der Gast erhält und hat somit starkes Gewicht. Das intangible sensorische Erleben muss auch online abgebildet werden. Ein paar Bilder des Hotelzimmers auf der Website abzubilden, das ist heutzutage nicht mehr ausreichend. 
Konkret bedeutet dies?

An Stelle der statischen Bilder zeige ich den potentiellen Gästen meine Zimmer mit einem Video. Videos sind auch perfekt geeignet um Naturgeräusche akustisch erlebbar zu machen. Oder, wenn ich Bilder verwende, dann versuche ich die Sensorik durch Beschreibungen zu transportieren indem ich beispielsweise bei dem Zimmer mit Meeresblick den Bildtitel “Schlafen Sie entspannt ein in Begleitung des Meeresrauschens und dem Klang der Wellen”. 
Warum fahren die Menschen in den Urlaub? Nicht um denselben Rollbraten wie daheim zu essen, sondern um neue sensorische Erfahrungen zu machen, die einem helfen, sich selbst zu entdecken.
“Luxus hat die Ebene von Sensorik und Lebensglück erreicht.” heißt es in der Ankündigung der Podiumsdiskussion mit Ihnen. Wie steckt hinter dieser Aussage?

Sensorik hat tatsächlich einen Einfluss darauf, ob bzw. wie sehr ein Aufenthalt oder eine Erfahrung angenehm oder anschließend erinnerbar ist und vielleicht auch darauf, ob man die Möglichkeit hat sich selbst anders wahrzunehmen. Warum fahren die Menschen in den Urlaub? Nicht um denselben Rollbraten wie daheim zu essen, sondern um neue sensorische Erfahrungen zu machen, die einem helfen, sich selbst zu entdecken. Das (bewusste) Erleben von sensorischen Eindrücken kann zu einer gesteigerten Selbstwahrnehmung, also “self-knowledge”, beitragen. Zum Beispiel wenn man etwas sensorisch Neues oder Überraschendes ausprobiert und sich dabei selbst besser kennenlernt oder wenn man die Natur neu oder anders erlebt und dieses neue Erleben etwas ist, das man vorher nicht kannte – weil man es vielleicht einfach nicht wahrgenommen hat. Durchs “reconnecten” mit der Natur nimmt man eine ganz andere intensive Erinnerung mit nach Hause. 
Sensorisches Marketing in 2030: wagen Sie einen Ausblick und Prognose?

Die Relevanz des Themas wird zunehmen, sowohl im Handel als in der Hotellerie und im Servicebereich allein aufgrund der Tatsache, dass durch die Digitalisierung die Menschen wieder Erlebnisse suchen. Viele Menschen wissen nur nicht, wie sie sensorische Erlebnisse wahrnehmen können oder achten nicht darauf. Es fehlt oftmals die “awareness” (Bewusstsein) und “mindfulness” (Achtsamkeit) dafür. Wir erleben bereits die erste digitale Detox-Welle, der Mensch versucht sich wieder mit der realen Umwelt zu verbinden. Einen weiteren Wertewandel, den man beobachten kann, ist das gestärkte Bewusstsein für die Umwelt. Deutlich sichtbar ist dies daran, dass sich die Menschen wieder mehr Gedanken über Langfristigkeit, Nachhaltigkeit und Verantwortlichkeit für nachfolgenden Generationen machen. Das verbindet den Menschen wieder stärker mit der Natur und dem Naturerlebnis. Für den Hotelier bedeutet das: wie kann ich dieses “Naturerleben” sensorisch greifbar machen und dem Gast mitgeben, vor allem wenn ich keinen Ozean vor dem Haus habe oder kein Vogelgezwitscher am Morgen. Als weiteren Trend kann ich mir vorstellen, dass es neben sinnlichen Eindrücken darum gehen wird, dem Aufenthalt selbst einen Sinn zu geben beispielsweise durch soziale Projekte, an denen Gäste teilnehmen können. Sprich: all jene Dinge, die uns zu uns selbst, zur Umwelt und anderen Menschen wieder näherbringen. 
Wo wird sich die Forschung hingegen hinbewegen?
 
Ein starker Fokus wird darauf gelegt werden, wie die Sinne zusammenwirken beziehungsweise wie die Wahrnehmung in einem Sinn die Wahrnehmung in einem anderen Sinn beeinflusst. Oder eben wie zwei sensorische Wahrnehmungen zusammenspielen und ob sich daraus andere Effekte ergeben als jede einzelne der beiden Sinneswahrnehmungen für sich allein. 
Gibt es eine Persönlichkeit aus Tourismus, Marketing oder Technologie, welche Sie schon immer einmal treffen wollten? Warum und was wäre Ihre zentrale Frage an diese Person?

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, welcher Person ich meine Frage stellen würde, aber ich weiß welche Frage ich gerne beantwortet haben würde: Verliert man durch Artificial Intelligence langfristig innovatives Kapital? Ich frage mich, wenn man nur aufgrund von vorausgegangenen Daten Prozesse/Dinge optimiert, kann daraus wirklich Innovation entstehen? Laufen wir nicht Gefahr, unsere Intuition, Kreativität und unser eigenständiges Weiterdenken dadurch zu verlieren? Diese Fragen würde ich gern jemanden stellen…