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Im Gespräch mit Reinhard Lanner, Österreich Werbung

Online-Marketing 8 Minuten
Tourismus und Digitalisierung sind nicht das Ziel. Sie sind Instrumente, um das gute Leben in diesem Land zu sichern.
Reinhard Lanner ist seit April 2018 als Chief Digital Officer (CDO) bei der Österreich Werbung tätig. Er war zuvor bereits Management-Coach und Lektor an mehreren Hochschulen, bei SalzburgerLand Tourismus für Digitale Medien und Online-Marketing zuständig und gilt branchenintern als Experte für digitale Transformationsprozesse im Tourismus. Dank seiner langjährigen Tätigkeit als Tourismusdirektor auf Destinationsebene weiß er gut über die Herausforderungen in der touristischen Praxis Bescheid. 
Worin besteht Ihre Aufgabe als Chief Digital Officer (CDO) bei der Österreich Werbung?

Ich war bis 1. April 2019 für das Partnermanagement zuständig und somit Ansprechperson für die österreichische Tourismuswirtschaft. Seitdem ist es meine Aufgabe, das Thema “Digitalisierung” im Unternehmen und in der österreichischen Tourismusbranche strategisch weiter zu treiben. Wir - das heißt ich und ein weiterer Kollege - sind im Moment dabei, einen “Innovationshub” mit dem Namen “Next Level Tourism Austria” auf die Beine zu stellen.  
Welches sind derzeit die zentralen Themen und Projekte im Bereich der Digitalisierung der Österreich Werbung und für Ihr Team?

Ziel von Next Level Tourism Austria ist es, den österreichischen Tourismussektor und technologische Unternehmen zu vernetzen. Wir wollen Bewusstsein für die Digitalisierung schaffen. Dazu veranstalten wir beispielsweise Zukunftsreisen. Wir waren bereits in Dublin, wo wir uns Facebook, Google und verschiedene Start-Ups angesehen haben und in China, um uns das andere Internet auf dieser Welt anzuschauen, vor allem mit dem Fokus auf Payment-Solutions. 
Bewusstsein schaffen heißt zudem verschiedene Veranstaltungen in den Regionen zu organisieren und Ideen zu generieren - sowohl was Marketing betrifft, als In-Destination-Services. Wir arbeiten momentan an der Erstellung einer Landkarte, welche die Digitalisierungs- und Innovationsmaßnahmen im österreichischen Tourismus aufzeigt. Da wir sehr dezentral organisiert sind und nicht regelmäßig zusammenkommen, weiß man oft nicht mehr genau Bescheid, wer zwischen Bodensee und Neusiedlersee was tut. Und last but not least etablieren wir derzeit eine "Austria Experience Data Hub" in dem wir unterschiedliche Datenquellen zusammenführen, Standards gemeinsam definieren und somit eine Grundlage liefern, damit Startups, Agenturen und sonstige Unternehmen neue, digitale Services entwickeln können.
Ein weiterer zentraler Punkt ist die Förderung von Innovationen in der Kommunikation und direkt vor Ort. Zum Bereich Kommunikation gehören individualisiertes Ausspielen von Inhalten, Datenmanagement und Datenanalyse. Wir wollen herausfinden, welche Skills, welche neuen Anforderungen, welche Personen und welche technischen Voraussetzungen wir dazu brauchen. Bei den In-Destination-Services geht es hingegen darum, die unterschiedlichen Akteure zu vernetzen. Darüber hinaus sind wir dabei, uns mit globalen Größen aufzustellen. Was können wir gemeinsam mit Booking, Airbnb, TripAdvisor tun? Das sind Dinge, die nicht jede Region für sich allein machen kann und wir wollen hier Ansprechpartner finden, mit denen wir etwas entwickeln können.
Sie sind ja quasi ein “Urgestein” der digitalen Transformation und des Online-Marketing im Tourismus. Welche technologischen Meilensteine haben Sie am meisten beeinflusst?
 
Ich bin nach meiner Ausbildung in Kleßheim (Anmerk.: eine Tourismusschule in Salzburg) immer in Tourismusorganisationen tätig gewesen und habe unterschiedliche Dinge machen dürfen, die mich persönlich interessiert haben: von Eventorganisation über Wanderweggestaltung bis hin zu Vertriebsaktivitäten im Direkt-Marketing oder Verkaufsförderung. Vor 15-20 Jahren ist dann das Thema der Digitalisierung stärker aufgekommen. Ich habe mich damit auseinandergesetzt - weniger von der technischen Seite, denn mich interessieren eher die Muster in der Kommunikation und im Verhalten, die sich dadurch ändern. Zugleich stellt sich die Frage, was man daraus ableiten kann und was wir tun müssen, um einen besseren Service für die Gäste bieten zu können.
Für mich hatte in dieser Zeit jede Phase ihre Bedeutung. Mit dem Start des Internet haben wir Prospekte genommen und diese als Webseite online gestellt. Damals waren die Ladezeiten und Leitungen mäßig und alles war recht spannend. Dann hat die Zeit des Web 2.0 begonnen, diese Social-Zeit, wo man den Nutzen des Internets stärker festgestellt und gesehen hat, dass es nicht mehr nur ums Broadcasten sondern ums miteinander Kommunizieren geht. Schließlich ist Web der Daten mit Big Data dazugekommen.
Die ersten zwei Entwicklungen haben wir als Touristiker meiner Meinung nach noch ganz gut mitgestalten können, bei Web of Data stellt sich hingegen die Frage, wie viel Know-How wir selbst haben und wie die Datenqualität ist. Ich glaube da hängen wir momentan etwas hinterher und das Internet entwickelt sich währenddessen schon wieder weiter.
Eines der wesentlichen Dinge für mich, wenn ich diese Phasen auf den Punkt bringen müsste, ist die Erfindung des Smartphones. Dadurch war es plötzlich so, dass die Menschen digitale Assistenten für ihr Leben permanent mit sich tragen und diese Fernbedienung fürs Leben für alle möglichen Dinge verwenden konnten: zum Anschauen von Videos, für Bestellungen, um mit jemandem zu kommunizieren.
Reisen hat in Zukunft also etwas mit Erfahrungen zu tun - es geht nicht mehr nur um Erholung und Erlebnisse, sondern darum, dass Begegnungen mit Landschaft, Aktivitäten, Mitreisenden und Leuten vor Ort den Reisenden verändern und zu einem anderen Menschen machen.

Wo sehen Sie die größten Chancen und Potentiale der digitalen Transformation für die gesamte Tourismusbranche? Was erwartet sich der Gast der Zukunft?

Wir hinterfragen gerade, wozu es die Österreich Werbung braucht, wenn sich das ganze Umfeld ändert. Wir diskutieren darüber sehr intensiv und wollen noch viel stärker kommunizieren, dass Tourismus nicht das Ziel ist. Tourismus ist ein Instrument, um das gute Leben in diesem Land zu sichern. Es geht nicht um den Tourismus per se, sondern um eine Wertschöpfung, die die Orte lebenswert macht. Es geht darum, eine Infrastruktur zu haben, wo die Kinder großartig aufwachsen und darum, unsere Landschaft zu erhalten. In den letzten Jahren war die Denkweise der Industrialisierung und Maximierung stark im Vordergrund, jetzt gibt es jedoch einen neuen Masterplan Tourismus, der vom Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus entwickelt wurde. Das Thema “Lebensraum” ist ganz klar als oberstes Ziel deklariert.
Genauso wie der Tourismus, ist auch die Digitalisierung kein Ziel. Digitalisierung haben wir bisher sehr oft als Ziel gesehen. Wenn man sich aber anschaut, wie die Leute arbeiten, dann ist die Technologie in vielen Fällen eine Belastung und keine Entlastung. Die Fragestellung in diesem Bereich kann nur heißen: Wie unterstützt mich das in meiner Arbeit? Wie kann mich die Digitalisierung von Routinearbeiten entlasten, damit ich mich auf jene Tätigkeiten konzentrieren kann, wo die menschlichen Fähigkeiten - Kreativität, Empathie, Gastgeberschaft - gefragt sind? Im Englischen gibt es diesen Begriff “Augmented Humans”, wir sollen also diese ganzen Instrumente dazu verwenden, die menschliche Fähigkeit zu steigern.
Von diesem allgemeinen philosophischen Gedanken kann man auf den Tourismus schließen. Pine und Gilmore (Anmerk.: Autoren von “The Experience Economy”, 1999) sprechen von Erlebnisgesellschaft und die Theorie entwickelt dieses Erlebnis weiter zur Erfahrung. Reisen hat in Zukunft also etwas mit Erfahrungen zu tun - es geht nicht mehr nur um Erholung und Erlebnisse, sondern darum, dass Begegnungen mit Landschaft, Aktivitäten, Mitreisenden und Leuten vor Ort den Reisenden verändern und zu einem anderen Menschen machen.
Tourismus war immer schon ein gemeinsames Gestalten von Momenten mit direktem Kontakt zum Gast.


Welche Megatrends und Themen der Digitalisierung werden die nächsten 3-5 Jahre dominieren?/

Für mich ist klar, dass dieses industrialisierte Zeitalter am Ende ist. Abläufe, Prozesse und Strukturen, wie sie die letzten hundert Jahre richtig waren, werden in der Zukunft entweder nicht mehr notwendig oder falsch sein.
Wenn ich früher ein Journalist war, habe ich eine Firma gebraucht, die mir Bildablagen, Entwicklungslabors und eine Druckerei zur Verfügung stellt und eine Firma, die die Zeitungen vertreibt. Heute benötigt man das in dieser Form nicht mehr, denn mit einem Handy kann man bis hin zum Video alles selbst machen und die Inhalte übers Internet verbreiten.
Wahrscheinlich wird es mehrere Entwicklungen in diese Richtung geben. Das ist für mich der Megatrend und daraus abgeleitet die Frage, was in Zukunft das Geschäftsmodell sein wird. Das Produkt ist es nicht mehr. Vielleicht ist die sogenannte Co-Creation und da hat der Tourismus einen Vorteil gegenüber allen anderen Branchen. Co-Creation und Content-Marketing machen wir schon seit jeher - Tourismus war immer schon ein gemeinsames Gestalten von Momenten mit direktem Kontakt zum Gast.
Wie unterstützt die Österreich Werbung die österreichischen Tourismusorganisationen und Betriebe konkret in der digitalen Transformation?

Wir organisieren sehr viele Veranstaltungen, haben Publikationen und gründen eine Community. Wir sind Impulsgeber und wollen Denkprozesse anstoßen. Es ist sehr einfach auf einer Bühne darüber zu reden, dass Betriebe über Innovation nachdenken sollten. Es ist aber nicht einfach diese Dinge in die Tat umzusetzen, weil viel operatives Arbeitsgeschäft zu bewältigen ist. Daher wollen wir eine Community aufstellen, mit der wir uns vornehmen, die Leute rauszuholen und zusammenzubringen und Themenkataloge als Hilfestellung zu liefern. So können sich Unternehmer mit ihren Mitarbeitern einmal pro Monat zusammensetzen und erhalten Fragestellungen, zu den Themen, die sie dabei diskutieren können.
Welche Hauptaufgaben wird Ihr Job im Jahr 2025 beinhalten?

Ich glaube, dass es meine Rolle in fünf Jahren nicht mehr geben wird. Ich habe mit einem Dreijahresvertrag angefangen, da es von Anfang an mein Ziel war, mich innerhalb von drei Jahren obsolet zu machen. Jetzt wird das vielleicht nicht in nur drei oder fünf Jahren passieren, aber im besten Fall kommen wir so gut weiter, dass bestimmte Prozesse unabhängig von einer einzelnen Person in eine Richtung gehen. Danach suche ich mir was Neues. Es gibt eine Fülle an Möglichkeiten, da werde ich bestimmt etwas finden.