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Im Gespräch mit Clemens Bartlome, Graubünden Ferien (GRF)

Online-Marketing 10 Minuten
Wir sehen uns als Verkaufssupport: An der Front steht der Vertrieb und wir müssen deren Leben vereinfachen.
Clemens Bartlome wird ab August 2019 als Managing Director UK die Standortverantwortung für das Switzerland Travel Centre (STC) in London übernehmen. Zuvor war er Leiter des Produkt- und Erlebnismarketings von Graubünden Ferien (GRF), welches zielgerichtet Werbung für die Ferienregion Graubünden macht. Der in Chur wohnhafte Ökonom betreute bereits mehrere globale Konsumgüter-Brands im digitalen Marketing und setzte verschiedene Softwareprojekte im Bereich Community und Loyalty um. Zudem war Herr Bartlome Start-Up- Berater im digitalen Umfeld.
Herr Bartlome, was macht die Marke “Graubünden” so authentisch und einzigartig?

Wir können auf eine marketingtechnisch sehr erfolgreiche Zeit zurückschauen, dafür gibt es meiner Meinung nach drei Gründe. Es sind die richtigen Leute bei uns, die sich als Vordenker herausgestellt haben. Wir arbeiten mit Partnerdestinationen zusammen, die eine sehr hohe Bereitschaft haben mitzumachen und dabei viel Mut zeigen. Zudem haben wir Agenturen, die bei unseren Projekten mitziehen und uns als Kunde gut verstehen. Dank dieser Kombination gab es eine sehr positive Entwicklung. Hinzu kommt, dass wir in Graubünden diese große Schere zwischen Top-Destinationen und kleineren Destinationen haben. Den kleinen Destinationen ist bewusst, dass sie nie die Stärke der Top-Destinationen erreichen werden. Daher haben sie noch andere Werte, als die klassischen touristischen Werte wie Übernachtungen oder Skifahren. Sie haben den nötigen Spielraum, der uns hilft, die Marke zu leben und zu positionieren. Dieses Potential hat man früh erkannt und sich so eine gewisse Narrenfreiheit genommen, die es uns auch heute noch erlaubt so mutig zu sein.
Man hat bei der Gründung der Marke - was eine Pionierleistung in Graubünden war - diese Markenwerte geschaffen und versucht, sich damit zu differenzieren. Es war ein harter Weg und sehr viel Arbeit, dies alles aufzubauen. Heute kümmert sich Graubünden Ferien nicht mehr um die Marke. Vor zwei Jahren, zum Zeitpunkt als ich dazukam, wurde die Marke losgelöst, weil es sich um eine Regionenmarke und nicht um eine rein touristische Marke handelte. Graubünden Ferien ist weiterhin Lizenznehmer, aber die Dachmarke fungiert für den gesamten Kanton und umfasst verschiedene Bereiche.
Worin besteht Ihre Aufgabe bei Graubünden Ferien und wie groß ist Ihr Team, welches Sie leiten?

In meinem Team arbeiten rund zehn Leute und ich bin Leiter des Produkt- und Erlebnismarketings. Meine Aufgaben liegen sowohl in der strategischen Ausrichtung als auch im operativen Marketing mitsamt Content-Entwicklung sowie den Bereichen Social Media und Influencer. Kleinere Kampagnen sowie den Bereich SEO decken wir selbst ab, für den Rest arbeiten wir mit verschiedenen Agenturen zusammen.
Durch unsere Arbeit müssen wir Argumente liefern, damit Ferien besser verkauft werden können.
In welchen Bereichen des Online-Marketings und der Online-Kommunikation ist Graubünden Ferien hauptsächlich tätig? Mit welchen Budgets und Schwerpunkten arbeiten Sie in 2019?

Wir haben einen Leistungsauftrag vom Kanton Graubünden und bekommen jährlich 6 Millionen SFR sowie verschiedene Zusatzfinanzierungen, beispielsweise für die Fernmärkte. Zusätzlich suchen wir uns Partner, die uns helfen, die Projekte zu finanzieren.
Generell haben wir eine sehr holistische Sicht. Bei uns gibt es keine Trennung zwischen Online-Marketing und traditionellem Marketing. Daher haben wir keinen speziellen Fokus. Der Fokus liegt wahrscheinlich am ehesten darin, dass wir alles sehr genau analysieren. Wir stecken viel Zeit in die Analyse der Maßnahmen, die wir umsetzen und legen schon im Voraus fest, welche Insights wir daraus ziehen wollen, auch wenn wir die Ergebnisse vielleicht nicht unmittelbar nutzen können.
Ein Beispiel dafür sind die Hotelvideos, die wir im Moment produzieren. Dabei versuchen wir inhaltlich zweimal dasselbe Video zu erstellen. Allerdings wird beim ersten Video der Hoteldirektor oder Besitzer in den Mittelpunkt gestellt und beim zweiten wird dieser nur beiläufig gezeigt. So wollen wir herausfinden, was bei den Gästen besser ankommt. Ist es das Gesicht des Hoteldirektors oder sind es eher die Zimmer oder andere Alleinstellungsmerkmale?
Zudem haben wir letztes Jahr eine große Ski- und Snowboard-Kampagne gestartet, bei der wir mehr als 100 verschiedene Inhalte über vier bis fünf Monate platziert haben und versucht haben herauszufinden, welcher Content wann und wo am besten funktioniert. Die Ergebnisse daraus konnten wir dieses Jahr sehr gut nutzen. Wir haben festgestellt, dass vor Weihnachten das Thema Skifahren mit dem Zusatz Wellness sehr gut funktioniert. Nach Weihnachten spielt Wellness dann keine so große Rolle mehr. Im Frühling hingegen ist die Sonnenterrasse ein erfolgreiches Plus zum Skiurlaub. Diese Ergebnisse geben wir an die Skiregionen weiter, so haben diese die Gelegenheit, sich mit den Hotels abzusprechen, um das Thema Wellness in der Vorweihnachtszeit mit in die Kommunikation aufzunehmen. Durch unsere Arbeit müssen wir Argumente liefern, damit Ferien besser verkauft werden können. Wir sehen uns als Verkaufssupport: An der Front steht der Vertrieb und wir müssen deren Leben vereinfachen.
Gibt es einen Plan, wie man sich im Bereich Online-Marketing weiterentwickeln möchte?

Seit gut einem Jahr versuchen wir diese Insights, die wir aus der Contentanalyse erhalten, stärker zu sammeln und zu nutzen. Wir möchten enger mit Partnern wie Hotels, Bergbahnen, Destinationen und Skischulen zusammenarbeiten und dazulernen. Diese Partner haben sehr erfolgreiche Kampagnen mit Konzepten, die man in anderen Regionen ebenfalls verwenden kann. Unsere Partner sind bereit, ihre Insights mit anderen zu teilen, haben aber oft nicht die passenden Möglichkeiten dazu. Daher wollen wir als eine Art Kommunikations-Plattform dienen, die eine fachliche Zusammenarbeit ermöglicht.
Für uns als Graubünden Ferien haben die Steinböcke einen hohen Wert und sie funktionieren phänomenal gut. Die Nachfrage ist sehr stark und wenn wir ein Video machen, geht es viral.
Die wohl berühmtesten Steinböcke auf Youtube: Gian und Giachen. Millionenfach angesehen, Ringtones, Wallpapers, Fanshop. Worin gründet der Erfolg dieser Marketingkampagne (seit nunmehr 10 Jahren) und wie gliedert sich diese in die ganzheitliche Marketingstrategie ein?

Soweit ich informiert bin, wurden sie erschaffen, als man die Marke aufgebaut hat. Man hat mit Jung von Matt zusammengearbeitet und überlegt, wie man auffallen könnte. Dies erfolgte in der Anfangszeit mit klassischer Fernsehwerbung. Damals war das Internet anders und man hat gesagt, dass Branding mit Online-Advertising nicht möglich ist. Es gab bis dahin keine Marke, die es geschafft hatte, sich online aufzubauen. Mit den Steinböcken ist dies allerdings nach und nach gelungen, was eine herausragende Leistung des damaligen Teams war.
Für uns als Graubünden Ferien haben die Steinböcke einen hohen Wert und sie funktionieren phänomenal gut. Die Nachfrage ist sehr stark und wenn wir ein Video machen, geht es viral. Das interessante ist, dass die Ankündigung, dass wir einen neuen Clip machen, sogar noch viraler geht als der Clip selbst.
Werden die Inhalte der Videos Kreativagenturen hinterlassen oder werden sie datengetrieben erstellt?

Wir machen beides und auch hier haben wir bereits einige Analysen durchgeführt. Zum Beispiel werden auf Youtube, wenn man den Begriff “Skifahren” in der Suchleiste eingibt, circa an dritter Stelle How-to-Videos angezeigt. Dieses Thema fanden wir sehr spannend, daher haben wir angefangen solche Videos zu erstellen. Für die Texte haben wir mit Experten - beispielsweise Wanderexperten oder E-Bike-Experten - zusammengearbeitet. Zusätzlich machen wir auch Kampagnenvideos, die von den Agenturen getextet werden.
An erster Stelle steht der Inhalt und dann überlegen wir uns, welcher Kanal könnte passen.
Gibt es vorgefertigte Prozesse zu den Remarketing- Maßnahmen? Sind die Videos der Start eines Prozesses, der intern definiert ist oder sind sie Sympathieträger, die einfach distribuiert werden?

Beides trifft zu. Beispielsweise hatten wir eine Kampagne laufen, bei der der Komiker, der den Steinbock Gian spricht, Graubündner Destinationen bereist, um dort verschiedene Rezepte zu suchen. Im Anschluss wurde ein Pop-Up-Restaurant in Zürich eröffnet und diese Rezepte auf der Menükarte gesammelt. Eine klassische Serie also, aber wir fokussieren uns nicht auf einen bestimmten Kanal. Der Kanal ist für uns immer der zweite Schritt. An erster Stelle steht der Inhalt und dann überlegen wir uns, welcher Kanal könnte passen - eventuell ist es Video oder Bilder oder nur Ton.
Blockchain, künstliche Intelligenz, Augmented Reality, Chatbots, Voice Search & Sprachassistenten, Live-Content und Marketing-Automatisierung dominieren weiterhin die Themen der Digitalszene in 2019. Inwieweit beeinflussen diese neuen Technologien bereits den Arbeitsalltag von Graubünden Ferien?

Mit der neuen Strategie von Graubünden Ferien geht es letztendlich auch darum, diese Technologien genauer unter die Lupe zu nehmen. Das geniale am Tourismus ist, dass man dabei alle neuen Trends testen und nutzen kann. In diesem Bereich ist es allerdings sehr schwierig eine Marktakzeptanz zu erreichen. Beim Marketing sind die Prozesse etabliert und man kann Insights leicht weitergeben. Wenn es jedoch um innovative Themen geht, ist es nicht so einfach, jemanden davon zu überzeugen.
Die Mitarbeiter aus der Abteilung Innovation & Research haben bereits sehr gute Arbeit geleistet und einige Konzepte herausgebracht. Letzten Winter haben wir ein neues Skilehrer-Modell getestet. Die Skilehrer befinden sich auf der Piste und man kann diese gleich vor Ort für nur wenige Abfahrten buchen anstatt tageweise oder Wochen im Voraus. Zudem haben wir die Plattform “Bunanotg.ch” lanciert. Auf dieser geben Gäste ihre Zahlungsbereitschaft an und die Hotels in der gewünschten Region buchen dann die Gäste statt wie bisher umgekehrt. Die Schwierigkeit ist allerdings, diese Projekte weiterhin anzutreiben und Partner zu finden, die Angebote betreiben.
AI wird ein großer Gamechanger im Tourismus sein. Es gibt einen sehr hohen Bedarf an Personal und viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden.
Was sind die Themen für die Zukunft im Tourismus, was finden Sie auch persönlich spannend?

Sehr spannend wird die Diskussion bezüglich AI, wenn man die Industrie und die Herausforderungen anschaut. AI wird ein großer Gamechanger im Tourismus sein. Es gibt einen sehr hohen Bedarf an Personal und viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden. Meist denkt man, dass jene Personen, die am Front-Desk arbeiten, als erstes ausgetauscht werden. Ich sehe das aber überhaupt nicht so: Robotik wird einen sehr großen Impact dort haben, wo es auch jetzt schon keinen menschlichen Kontakt gibt. Das finde ich außerordentlich spannend.
Bei Themen wie AI oder VR - wer sind in diesem Feld Ihrer Meinung nach die absoluten Vorreiter?

Vorreiter zum Thema AI im Tourismus zu finden, ist noch etwas schwierig. Ich schaue zurzeit stark auf IBM, das bei diesen Themen den Ton angibt. Viel Kontakt habe ich in diesem Bereich zudem mit dem US-amerikanischen Online-Reisebüro Expedia Group Inc. Der Expedia CEO, Mark D. Okerstrom, hat bei seiner Jahreskonferenz im November angekündigt, dass er in einem Jahr einen Bot vorstellen wird, der die Hotelpartner des Portals berät.
Bei solchen Themen kommt immer wieder diese Frage auf, ob die Leute dann keine Jobs mehr haben werden. Ich finde auch in diesem Fall ist die Antwort nein. Statt repetitive Aufgaben zu erledigen, werden sich die Personen zukünftig direkt um die Kunden kümmern. Es geht genau um diese Verschiebung hin zum Kunden - das Menschliche muss bei den Kunden und Gästen bleiben, aber bei den restlichen Aufgaben können durch die neuen Technologien Kapazitäten geschafft werden.
Gestatten Sie uns abschließend ein gemeinsames Foto zu machen? Oder herrscht auch bei “Graubünden Ferien” ein “herzliches Fotografierverbot” wie in Bergün? War diese Marketing-Kampagne von Jung von Matt stark polarisierend?

Ja, die Kampagne war sehr polarisierend. Sie hat eine große Debatte ausgelöst. Das Interessante war, dass sich die Diskussion sehr schnell drehte und zwar hin zum Thema Verbote und was diese für eine demokratische Gesellschaft wie die Schweiz bedeuten. Dies fand ich sehr wichtig. Es ist gut, dass wir über Verbote reden, denn die Leute reagieren enorm empfindlich darauf. Das hatte natürlich mit Bergün nichts mehr zu tun und wir hätten, wenn es uns früher bewusst gewesen wäre, die Diskussion von Anfang an besser leiten können. Diese Verbots-Thematik ist im touristischen Kontext ebenfalls sehr aktuell. Die touristischen Verbote und Regeln hätte man sehr gut mit aufnehmen können und das haben wir verpasst.