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Im Ge­spräch mit Dr. Aljoscha Burchardt, DFKI Berlin

Marketing-Automatisierung 9 Minuten
Gerade im Tourismus sollte man Assistenzsysteme nutzen, um den Kunden besser zu bedienen.
 
Dr. Aljoscha Burchardt ist seit 2010 Experte für Sprachtechnologie und Künstliche Intelligenz am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI GmbH) in Berlin und hat verschiedene Großprojekte im Bereich der maschinellen Übersetzung geleitet. Seit August 2019 ist er zudem stellvertretender Standort­sprecher im DFKI. Zuvor hat er eine Ausbildung zum Dr. phil. im Bereich Computerlinguistik an der Universität des Saarlandes absolviert und war als Forscher an der TU Darmstadt tätig. Außerdem ist er Mitglied der Enquete-Kommission “Künstliche Intelligenz” des Deutschen Bundestages, deren Aufgabe es ist, den Einfluss der KI auf das Zusammenleben, die deutsche Wirtschaft und die Arbeitswelt zu untersuchen.
Was ist das DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz) und welche sind dessen zentrale Aufgaben?

Das DKI wurde 1988 gegründet. Damals wollte man den Wissenstransfer zwischen der Forschung in den Universitäten und der Industrieforschung verbessern. Man hatte dieselbe Situation wie heute, in puncto Wissenstransfer gibt es noch einiges zu tun, obwohl es das DFKI schon lange gibt und wir erfolgreich gewachsen sind. Wir haben über 600 Mitarbeiter und 20 Forschungsgruppen.

Die Themen, die wir erforschen, sind unter anderem Robotik, Sprache, Bildverarbeitung, Industrie 4.0, Wearables oder Wirtschaftsinformatik. Wir arbeiten in Konsortien zusammen mit der Industrie und bewerben uns mit unseren Partnern auch bei öffentlich finanzierten Projekten. Zudem sind wir an die Universitäten angebunden, da all unsere Gruppenleiter Professorinnen und Professoren an den jeweiligen Hochschulen ihrer Standorte sind.

Die DFKI ist eine gemeinnützige GmbH, das heißt, wir dürfen keinen Gewinn machen. Wir erhalten keine hundertprozentige öffentliche Förderung, sondern müssen einen Eigenanteil leisten. Diese Lücke dürfen wir wiederum schließen, indem wir freie Aufträge annehmen und damit einen Gewinn machen, jedoch nur im Umfang der Lücke, die wir schließen wollen. So können wir für relativ kleines Geld wirklich viel liefern. Wenn es dann doch die Möglichkeit gibt, höhere Gewinne zu erwirtschaften, so müssen wir ein Spin-Off gründen. In diesen 30 Jahren ist das bereits 90 Mal geschehen.

Das zeigt, wie weit unser Tätigkeitsbereich geht: Unsere Arbeit endet mit dem, was wir Forschungs-Prototypen oder Proof of Concept nennen. Daraus dann ein Produkt zu machen, mit allen juristischen Maßnahmen und Zertifizierungen, das gehört nicht mehr zu unseren Aufgaben. Dies erledigen entweder unsere Kunden, Partner oder die Spin-Offs. 
Meist ist den Leuten nicht bewusst, dass der erste Schritt der Digitalisierung der ist, seine bisherigen Prozesse aufzuräumen.
Wie stellt man ein KI-Projekt auf?

Wenn Leute zu uns kommen und KI-Projekte erwerben wollen, besteht unsere erste Aufgabe darin, zu prüfen, worum es sich handelt. Üblicherweise sind es Forschungs- und Entwicklungsprojekte, bei denen die Fragestellung noch nicht klar ist. Es muss noch geklärt werden, welche Daten zur Verfügung stehen, ob diese strukturiert oder unstrukturiert sind und ob wir diese überhaupt nutzen können. Meist ist den Leuten nicht bewusst, dass der erste Schritt der Digitalisierung der ist, seine bisherigen Prozesse aufzuräumen.

Die grundsätzliche Verwechslung, die zudem immer noch vorherrscht, ist der Unterschied zwischen starker und schwacher KI. Man denkt sofort an starke KI, an Roboter, die alle Probleme lösen und auf alle Fragen eine Antwort haben. Die Leute kommen mit dieser Erwartung zu uns und dann müssen wir erst mal klären, dass es sich um schwache KI handelt. Also um KI, die für ein von Menschen definiertes Ziel entsprechende Daten aufbereitet und mit verschiedenen Technologien bearbeitet. Um ein Projekt realisieren zu können, braucht es daher ein Ziel, Daten und Qualitätsmaße (KPIs), damit man überprüfen kann, ob das Ergebnis funktioniert. 
In welchen Bereichen sind Sie tätig? Wie viele Mitarbeiter umfasst Ihr Team

Ich bin Computerlinguist. Mein Bereich ist die Sprachtechnologie und unsere Gruppe hat rund 30 Mitarbeiter. Das erste, was den Menschen dazu einfällt, sind Diktiersysteme und Sprachausgabe, aber das machen wir am wenigsten. Bei uns geht es um das, was dazwischen passiert.

Wir versuchen beispielsweise, aus Twitter-Meldungen Mobilitätshindernisse herauszufiltern. Wenn jemand einen Tweet mit dem Inhalt “Fahrstuhl kaputt am Südkreuz.” verfasst, dann muss man herausfinden, in welcher Stadt das Südkreuz ist und ob diese Meldung zu anderen Informationen passt, die wir aus derselben Gegend haben. So kann man ein Frühwarnsystem erstellen, mit dem die Leute erfahren, dass sie irgendwo nicht durchkommen, dass gerade eine Demo stattfindet oder dass sie eine Station weiter fahren müssen. Kurzum geht es darum, aus Big-Data-Strömen konkrete Informationen herauszufiltern.

Lange habe ich mich außerdem mit der Qualität von maschineller Übersetzung beschäftigt. Ich habe verglichen, was in der Forschung gemessen wird und was Übersetzer/innen an Qualitätsstandards brauchen. Dabei war eine große Diskrepanz festzustellen, da sich die Forschung in diesem Gebiet stark am Markt vorbei entwickelt hatte. 
Chat-Systeme funktionieren aktuell nur dann, wenn sie den Dialog kontrollieren und den Menschen abfragen.
Woran arbeiten Sie gerade konkret? Welche großen Projekte stehen an?

Ein Thema, das im Moment eine starke Nachfrage hat, ist die Mobilität - sowohl öffentliche Mobilität als auch die individuelle Anwendung. Ebenso ist Medizin ein großer Treiber. Außerdem arbeiten wir an der Kuratierung von Daten im Bereich Journalismus und Medien oder zusammen mit Kuratoren, die Ausstellungen designen müssen und unterstützen diese bei der Recherche.

Eine Zeit lang waren Chatbots ein wichtiges Thema, das Interesse ist jedoch schon wieder etwas abgeflacht. Die ersten Erwartungen waren wahrscheinlich zu hoch. Die Chatbots funktionieren heute noch genauso, wie damals Karl Klammer (Anmerk. Microsoft-Office-Assistent als Cartoon Büroklammer) und der beliebte Ikea-Bot von 2000. Es hat sich technologisch nicht viel weiterentwickelt. Dies ist ein Bereich, in dem KI nicht einfach aus Daten lernen kann, wie ein Beratungsdialog funktioniert. Die Aufgaben, die Angestellte in einem Callcenter leisten müssen, sind nicht eins zu eins abbildbar. Es ist nötig, viel Wissensaufbau mit der Maschine zu betreiben. Chat-Systeme funktionieren aktuell nur dann, wenn sie den Dialog kontrollieren und den Menschen abfragen. Wenn der Mensch das Gespräch hingegen aktiv angeht und anfängt zu erzählen, sind die Systeme schnell überfordert, weil sie nicht wissen, was sie aus dem Sprachinput herausfiltern sollen. 
Cambridge Analytica hat bereits gezeigt, was mit Datenanalyse alles möglich ist. Inwiefern ist Ihre Forschung für die Politik interessant?

Die “Enquete-Kommission” ist eine große Kommission, die das Thema KI in der ganzen Bandbreite bearbeitet. Sie besteht aus 19 Mitgliedern des Bundestages und 19 externen Sachverständigen und ist in sechs Arbeitsgruppen aufgeteilt, die sich mit verschiedenen Themen wie Medizin, Mobilität oder Medien beschäftigen. Ich bin Teil der Medien-Arbeitsgruppe, bei der es um Social Bots, Upload Filter, Fake News und Ähnliches geht. Die Politiker, die teilnehmen, sind gut informiert, haben einen hohen Wissensstand und sind sich großteils einig darüber, was funktioniert und was problematisch ist. Oft höre ich jedoch von diesen Politikern, dass sie in den eigenen Fraktionen keine so starke Strahlkraft mit dem Thema KI erreichen. Ihre Kollegen wollen nicht mit diesen Themen belastet werden und so ähnlich verhält es sich in der Bevölkerung.

Zusätzlich muss man erwähnen, dass darüber diskutiert wird, ob Unternehmen wie Cambridge Analytica wirklich einen so starken Einfluss haben oder ob sie die Situation ausgenutzt haben, um sich hochzuspielen. Da landen wir dann wieder im Bereich Forschung und Bildung: Es bräuchte Data Scientists und Sozio-Informatiker, die in der Lage sind so etwas zu erforschen und sich sowohl mit der Technologie als auch in den sozialen Disziplinen auskennen. Dabei sind wir noch nicht stark genug aufgestellt. Ich will das Phänomen damit nicht kleinreden, allerdings ist der Stellenwert erst noch zu klären. 
Gerade im Tourismus sollte man Assistenzsysteme nutzen, um den Kunden besser zu bedienen.
 
Auf der ITB 2020 (wurde aufgrund der COVID-19-Pandemie abgesagt) hätten Sie über "Voice Commerce: Reisen und Hotelzimmer verkaufen über Amazon Alexa und Google Assistent" diskutiert. Welche wären Ihre zentralen Aussagen zum Thema gewesen?

Meine Rolle in der Diskussion wäre gewesen, einen Überblick zu geben, wo wir gerade stehen und darüber, wie sich die Technologien weiterentwickeln wird. Die Assistenzsysteme, die wir aktuell haben, haben einen sehr überschaubaren Funktionsumfang wie Licht einschalten, einen Flug buchen oder Musik abspielen. Damit kratzt man nur an der Oberfläche.

Gerade im Tourismus sollte man solche Systeme jedoch nutzen, um den Kunden besser zu bedienen. Zum Beispiel, um nicht nur das Zimmer in der richtigen Kategorie anzubieten, sondern auch Tourismusprogramme oder Essensangebote zur Stärkung der Kundenbindung. Dabei ist es für mich interessant zu fragen, wie man es schafft, dass ein Assistenzsystem die Corporate Identity des Unternehmens gewährleistet und die Kunden auf passende Weise anspricht. Ein Kunde ist vielleicht gerade auf dem Weg zum Flughafen und möchte keine Zeit verlieren, ein anderer sitzen zu Hause, langweilt sich und hat entsprechend mehr Zeit. Mit Emotionserkennung kann man viel über die Kunden erfahren und sehr individuell agieren. Ich hätte gern die anderen Experten der Diskussionsrunde gefragt, wo wir da gerade stehen und wo wir uns noch hinbewegen sollten - gerade aus Sicht der Forschung.
Hotelmitarbeitern könnte man maschinell helfen, um das Niveau der Individualisierung durch passende Empfehlungen und individuelle Tipps zu steigern.
Was wird das in Ihrem Bereich faszinierendste Erlebnis in einem Hotel im Jahre 2030 sein?

Man wird ein anderes Serviceniveau haben, ohne dass ein großer Mehraufwand nötig ist. Jeder Gast wird so bedient werden, wie im Moment nur VIP-Gäste bedient werden. Beispielsweise wird man die passende Musik spielen, Menüs auf die Gäste abstimmen oder Abläufe anpassen.

Wenn ich selbst Gast in einem Hotel bin, dann merke ich oft, dass Mitarbeiter keine passenden Antworten liefern können, wenn man Fragen stellt, die über jene der üblichen Gäste hinausgehen. Zum Beispiel wenn man in einem gehobenen Hotel nach einer guten Pommesbude fragt. Hierbei könnte man den Mitarbeitern maschinell helfen, um das Niveau der Individualisierung durch passende Empfehlungen und individuelle Tipps zu steigern. 
Gibt es eine Persönlichkeit aus dem Tourismus (oder gerne auch aus einem anderen Bereich), welche Sie schon immer einmal treffen wollten? Warum und was wäre Ihre zentrale Frage an diesen Menschen?

Bis jetzt fand ich es eigentlich immer ernüchternd, wenn ich irgendwelche Prominenten getroffen habe. Das sind einfach nur Menschen und wenn man vor ihnen steht und Fragen stellt, dann antworten sie darauf manchmal eher lustlos - ähnlich wie Chat-Bots.

Ich hatte mir letztens sogar einen Prominenten ausgesucht, mit dem ich gerne sprechen würde, und zwar einen Komiker, den ich als Kind unheimlich gut fand. Lustigerweise habe ich ihn sogar einige Zeit später auf einem großen Sommerfest gesehen. Ich habe ihn aber nicht angesprochen, weil man gemerkt hat, dass er keine Lust dazu hatte.